: Eigentlich ein guter Gedanke
Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels einem bildenden Künstler zu verleihen entspricht einer längst gängigen Erweiterung des Literaturbegriffs. Leider nur theoretisch
Was für eine schöner Einfall! Mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels einen bildenden Künstler zu ehren trägt nicht nur der zunehmenden Bedeutung der bildenden Kunst in den letzten Jahren Rechnung. Es lässt sich auch als Anerkennung für eine Entwicklung interpretieren, die die literarische Szene und ihre angrenzenden Gebiete bereits seit Jahrzehnten beschäftigt: die Erweiterung des Textbegriffs. Wenn man Bilder, Werbeanzeigen, Filme und neuestens auch Computerspiele „lesen“ kann wie Romane, warum ihre Schöpfer dann nicht mit den Würdigungen ausstatten, die unsere Gesellschaft oft immer noch Schriftstellern vorbehält?
Dem Statut des Friedenspreises widerspricht dies nicht. In Paragraf 1 heißt es, der Preis werde an eine Persönlichkeit verliehen, „die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedanken beigetragen hat“. Die Kunst ist ausdrücklich mit drin. Stimmt also schon, dass den Preis bislang ausschließlich Schriftsteller und schreibende Intellektuelle erhalten haben – zuletzt Saul Friedländer (2007), Wolf Lepenies (2006), Orhan Pamuk (2005), Peter Esterhazy (2004) und Susan Sontag (2003). Nun Anselm Kiefer? Seine Bibliothek aus Blei gegossener Folianten kann man, wie die Jury des Preises es tut, als bildmächtige Symbole für die Zukunft des Buches lesen – als schöne Marketingmaßnahme für den Börsenverein des deutschen Buchhandels also, der als Vertretung der deutschen Verlage und Buchhändler den Preis auslobt. „Gegen den Defätismus, der Buch und Lesen eine Zukunft abzusprechen wagt, erscheinen seine monumentalen Folianten aus Blei als Schutzschilde“, heißt es nun in der Begründung. Könnte man die Arbeit nicht auch anders deuten? Dass in Zukunft die Bücher bleischwer in den Regalen liegen werden, etwa?
Tatsächlich ist die Tatsache, dass Anselm Kiefer einmal Bücher in Blei gegossen hat, allein kein Beitrag zur Verwirklichung des Friedensgedankens. Vielleicht sollte man erwähnen, dass es durchaus Bücher gibt, die eher zu Ausgrenzung, Hass und Krieg beitrugen. Kommt es bei Büchern nicht vor allem darauf an, was in ihnen drinsteht?
In der offiziösen Kulturpolitik dieses Landes gibt es eine Tendenz, von den Inhalten der Künste abzusehen und Kunst mit den Attributen „gemeinschaftsstiftend“ und „zivilisationsbewahrend“ zu versehen. Im Stiftungsrat des Friedenspreises, der zugleich als Preisjury fungiert, finden sich Namen von Persönlichkeiten, die mit der offiziösen Kulturpolitik verbunden waren oder sind: die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiß etwa, der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, sowie der FAZ-Großkunstkritiker (und Anselm-Kiefer-Freund) Werner Spies. Offenbar konnte sich diese Fraktion der Jury eher auf einen Namen einigen als die in ihr vertretenen Abgesandten der engeren deutschen Literaturszene. Was nicht unbedingt für die Diskursmächtigkeit der derzeitigen deutschsprachigen Literatur spricht. Seit Martin Walser im Jahr 1998 hat kein deutscher Schriftsteller mehr den Preis bekommen; und das lässt sich nicht nur damit erklären, dass man eine Aufregung wie damals nicht wiederholen wollte.
Es gibt in der Begründung der Preisverleihung einen Satz, der einem vollends die gute Laune an der Entscheidung nehmen kann: „Anselm Kiefer erschien im richtigen Moment, um das Diktat der unverbindlichen Ungegenständlichkeit der Nachkriegszeit zu überwinden.“ Das hat nun mit Friedensgedanken gar nicht mehr zu tun, sondern damit, das Pfund Friedenspreis in die Auseinandersetzungen um abstrakte und avantgardistische Malerei werfen zu wollen. Offenbar hat der Stiftungsrat also keineswegs den Hintergedanken gehabt, die schöne Erweiterung des Literaturbegriffs voranzutreiben. Sondern es geht ihm darum, mit der Anbindung an einen literarischen Diskurs eine seiner Meinung nach frei ins Kraut geschossene bildende Kunst zu disziplinieren.
Das ist ein Fehler. Denn erstens kann man das mit der Beliebigkeit durchaus anders sehen. Und zweitens gehört solche Art Kulturpolitik nicht zu den Aufgaben der Preisjury.
DIRK KNIPPHALS