: berliner szenen Proktologie
Diskretion in Britz
Mein Britzer Proktologe hat einen erstaunlich schwachen Händedruck. Als er mir zur Begrüßung die lasche Hand hinhält, denke ich, ich müsse sie mit einem Kuss beehren. Stattdessen deute ich eine Verbeugung an. Geschlagene zwei Tage lang habe ich gebraucht, um mir einen passablen, nicht zu schnodderigen oder koketten Text zu überlegen, der meine Beschwerden auf den Punkt bringt. Via Google verglich ich dafür die Anzahl der Treffer für Anus, After und Rektum im medizinischen Kontext. Schnell entschied ich mich für Anus.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragt der Arzt wie erwartet. „Sie könnten mich von einem unangenehmen Juckreiz am Hintern befreien.“ Ich glaube es nicht: Am Hintern! Ich spüre, wie die Hitzewelle in meinen Kopf vom Schädel in die Wangen brandet, und erwarte ein mildes Lächeln. Der Arzt allerdings hebt seinen Blick nicht von der Tischplatte, auf der er mit dem Kuli herumfährt. Den Ball, den ich soeben verlor, spielt er mir gekonnt zurück: „Dann muss ich Sie mir wohl untenrum anschauen“, sagt er und straft Google Lügen.
Um die Atmosphäre etwas aufzulockern, frage ich den Arzt, der sich, seit er mich zum Freimachen aufgefordert hatte, diskret mit dem Rücken zu mir gewandt hielt: „Wie herum auf den Stuhl?“ Auch Witzen gegenüber nicht aufgeschlossen, erläutert er mir die genaue Stellung. Um mich weiter nicht unwissend zu lassen, erklärt er im Verlauf der Untersuchung Instrumente, Bewegungen, Geräusche. Vollkommen schamlos. Nur um sich wiederum dezent der Wand zuzuwenden, während ich vom Stuhl rutsche. An der Rezeption beugt sich die Sprechstundenhilfe diskret zu mir herüber. „Mit so etwas“, sagt sie leise, „können Sie auch ohne Termin vorbeikommen.“ SONJA VOGEL