Nichts weniger als die Realität

Das Dasein als Diva ist keine kleine Sache, schon gar nicht mit Kind: Davon weiß Bernadette Hengst mehr als ein Lied zu singen, in ihrem neuen Album und heute Abend im Festsaal Kreuzberg

VON THOMAS WINKLER

Sie nennt sich La Hengst. Was ja schon mal nicht nur ambivalent und dialektisch, nicht nur ziemlich clever und wahnsinnig hintergründig ist, sondern auch einfach witzig. Ein bisschen seltsam aber wird das, wenn man La Hengst, die mit Vornamen Bernadette heißt, besucht in ihrer Wohnung im nördlichen, weniger schicken Teil von Mitte, da wo man fast schon im Wedding ist. In einem leidlich renovierten Altbau, vor dem Haus direkt den Spielplatz, auf dem sich ihre kleine Tochter austoben kann, und drinnen die Kinderklamotten überm Wäschetrockner, dort wohnt sie also, La Hengst.

In so einem Moment merkt man, das Dasein als Diva ist eine Aufgabe. Eine zudem, die im Alltagsleben nicht immer leicht zu bewerkstelligen ist. Oder, wie die Hengst sich gleich zum Auftakt ihres neuen, wundervoll verschrobenen Albums „Machinette“ von der Seele singt, garniert von einigen Kieksern: „Wir sind laut geboren und wollen nicht leise vergehn“.

Laut und leise, eingängig und verkopft, intellektuell und klamaukig, hintergründig und einfach blödsinnig, Bernadette Hengst war schon allerhand. 1967 geboren in Bad Salzuflen, der Stadt von Jochen Distelmeyer und Bernd Begemann, zog sie 20 Jahre später nach Berlin, um Schauspielerin zu werden. Nur ein Jahr später war dieser Traum ausgeträumt, der Umzug nach Hamburg folgte und die erste Band. Die Braut Haut Ins Auge spielte Mädchenpop als Gegenentwurf zu Punkrock und doch mit Liebe zu ihm, entdeckte auch Country und natürlich den Diskurs der Hamburger Schule und wollte doch nie so recht erfolgreich werden. Währenddessen gab Hengst Gastspiele bei Huah! und den Mobylettes, spielte für Rocko Schamoni.

Die damals erarbeiteten Grundlagen werden nun seit der Jahrtausendwende im Alleingang weiter entwickelt, seit vier Jahren auch wieder in Berlin. Auf Platten, die mitunter entnervend erratisch geraten. Aber das ist wohl Absicht. Es geht schließlich stets um nichts weniger als die Realität. Also, zugegeben, eine sehr gewisse Realität, nämlich die von Bernadette Hengst und ihrem Umfeld. Der Realität von, wie sie sie nennt, „Menschen in selbstgewählten prekären Lebensentwürfen“.

In der Presse haben diese Menschen andere Namen. Dort heißen sie die Generation Praktikum zum Beispiel. Der Staat nennt sie Ich-AGs. Egal. Wichtig ist: Diese Menschen werden immer mehr und die Musik von Bernadette Hengst mithin immer relevanter.

Auch auf „Machinette“ diskutiert sie wieder ihre Situation und damit stellvertretend die der anderen. Dabei verknüpft sie geschickt und immer wieder das Politische mit dem Privaten. So wie in „Süße Gefangenschaft“: Die Protagonistin will „nicht im Alltag verschwinden“ und flüchtet, frustriert vom Leben als „freies Wesen in einer unfreien Welt“, lieber in die Bondage-Spielchen einer sadomasochistischen Beziehung, tauscht die nur vermeintliche Freiheit in dieser Gesellschaft ein gegen eine selbstgewählte „Knechtschaft“.

Diese Auseinandersetzung mit einem Leben, das selbstbestimmt sein soll, aber immer wieder an die von den wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gesetzten Grenzen stößt, zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen von Hengst. Im Gegensatz aber zu Kollegen wie Tocotronics Dirk von Lowtzow oder eben Blumfelds Distelmeyer verfremdet sie nicht, schiebt keine ironische Distanz zwischen sich und ihren Gegenstand.

Was nicht heißen soll, dass „Machinette“ nicht auch ein ziemlich komisches Album ist. Das beginnt damit, ein ABBA-Zitat als Kommentar zum Handel mit CO2-Zertifikaten umzufunktionieren, und endet nicht mit dem hemmungslosen Raubzug durch die Popgeschichte. Bei dem wird sie unterstützt von einer Horde so unterschiedlicher Mitstreiter, dass die Uneinheitlichkeit des Albums kaum verwundert: Die Bläser-Sektion der Aeronauten aus Zürich macht ebenso mit wie der Krautrock-Veteran Hans-Joachim Irmler von Faust oder das sehr skurrile Tim-Isfort-Orchester. Nicht alle sind Musiker: Der vor allem in den Neunzigern angesagte Dada-Künstler Pastor Leumund trug seinen Teil ebenso bei wie Ton Matton, der niederländische Klima-Aktivist und Künstler.

Das alles klingt nun allerdings abgehobener, als es tatsächlich ist. „Machinette“ ist auch einfach ein Popalbum mit einigen Songs, die in einer anderen, besseren Welt wohl Hits hätten werden können. Und dass Musik für sie nicht immer gleich politischer Diskurs sein muss, das hat Bernadette Hengst unlängst mit „Tonangeberei – Songs für jedes Alter ab 3“ bewiesen. Da hat sie zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter Ella Mae eine Songauswahl zusammengestellt mit Songs von Chicks On Speed, Rocko Schamoni, Helge Schneider, Stereo Total oder den Lassie Singers, die beweist, dass Lieder, die auch kleine Kinder hören wollen, nicht notgedrungen deren Eltern in den Ohren schmerzen muss.

Musik kann das Leben vereinfachen, wenn sich Eltern und Kinder auf dieselbe einigen können. Und manchmal auch, wenn die Musik, so wie auf „Machinette“, diese Leben sogar ein bisschen besser zu erklären vermag. Was nötig ist. Denn nicht umsonst singt Bernadette Hengst auch den unendlich wahren Satz: „Wir werden sicher sterben, aber wir sind unsicher geboren.“

Live am 10. 6. im Festsaal Kreuzberg (mit Johanna Zeul) Bernadette La Hengst: „Machinette“, V.A.: „Tonangeberei – Songs für jedes Alter ab 3“ (beide Trikont/Indigo)