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Archiv-Artikel

Der nette Junge von nebenan

Zwei Tore erzielt, zweimal nicht gejubelt: Lukas Podolski spielt für Deutschland und denkt gleichzeitig an Polen

DAS IST LUKAS PODOLSKI

Geboren: 4. Juni 1985 als Łukasz Podolski im polnischen Gliwice.

Aufgewachsen: Die Familie Podolski emigrierte als Spätaussiedler 1987 mit dem zweijährigen Lukas nach Bergheim bei Köln.

Ausgebildet: Spielte ab der D-Jugend beim 1. FC Köln – und wechselte 2006 im Alter von 21 Jahren zum FC Bayern München.

Aufgestiegen: Gab mit 19 Jahren am 6. Juni 2004 bei der 0:2-Niederlage gegen Ungarn sein Debüt in der Nationalmannschaft – und brillierte bei der WM 2006 in Deutschland an der Seite von Miroslav Klose im Sturm. 49 Länderspieleinsätze, 27 Tore.

VON ANDREAS RÜTTENAUER UND MARKUS VÖLKER

Den Witzbold kann er geben, den frechen Buben, den netten Kerl. Das weiß man schon lange und nimmt ihm ab, was er zeigt. Läuft Lukas Podolski auf den Platz, dann ist er ernst, wirkt entschlossener als etliche seiner Mitspieler. Auch das ist nicht neu. „Wir kennen das“, sagte Team-Manager Oliver Bierhoff gestern in Tenero am Tag nach dem Fest von Klagenfurt, „Lukas wirkt vor den Spielen immer besonders konzentriert.“ Am Sonntagabend nun hat der 23-Jährige Doppeltorschütze gezeigt, dass er sich anschickt, eine neue Rolle anzunehmen: die des Nachdenklichen. Kein Freudenschrei, keine Machogeste, kein Luftsprung. Lukas Podolski blieb nach seinen zwei Toren beim 2:0 gegen Polen auf dem Boden.

Er habe die Treffer nicht zelebrieren wollen, erklärte er, weil „man auch ein bisschen Respekt haben muss für das Land, und das habe ich nach den Toren auch gemacht“. Er ist in Polen geboren. Ein Großteil seiner Familie lebt in Polen. Er wollte, dass jeder sieht, dass er das nicht vergessen will, wenn er für Deutschland, seine neue Heimat, gegen Polen, seine frühere Heimat, spielt. Und so wie man ihm den netten Jungen, der es von der Straße in die großen Stadien geschafft hat, abzunehmen bereit ist, so ist man auch geneigt zu glauben, dass das, was er den 26 Millionen TV-Zuschauern allein in Deutschland gezeigt hat, ehrlich ist. Ein Spieler wie Podolski, der als 19-Jähriger bei der EM in Portugal zum ersten Mal ein großes Turnier bestritten hat, weiß schon lange, dass er sich in der medialen Öffentlichkeit nicht wirklich frei bewegen kann. Er weiß, dass immer eine der zahlreichen Kameras, die in einem Stadion aufgebaut sind, auch auf ihn gerichtet ist. Er weiß, dass er sich inszenieren muss. Der Offensive weiß sich wie kaum ein zweiter Spieler in dieser vermittelten Kunstwelt zu bewegen. Er ist als Fußballer ein Spitzensportler, als Star ist er Menschendarsteller geblieben. Er ist glaubwürdig dabei. Dass er Deutschpole ist, wusste man. Was das für ihn bedeuten mag – nach dem Nichtjubel von Klagenfurt kann man es sich ein wenig vorstellen.

Podolski war einer der wenigen deutschen Spieler, die tauschten. Er streifte ein rotes Trikot über. Er hat jetzt schon einen ganzen Schwung Dresse aus Polen. Bei der Weltmeisterschaft 2006 schnappte er sich eins, und dann gab es noch eine Lieferung des ehemaligen polnischen Nationaltrainers Pawel Janas, der ihm drei polnische Nationaltrikots per Post zustellen ließ. Die Botschaft sollte lauten: Spiel für Polen, wir würden dich willkommen heißen. Es kam ganz anders. Aus Podolski wurde Poldi. Zusammen mit Schweini bildete er ein Duo infernale, das auf dem Platz Spaß hatte und in der fußballfreien Zeit auch.

Die siamesischen Zwillinge des deutschen Fußballs wurden mittlerweile getrennt. Podolski darf in der Startelf spielen, im Mittelfeld auf der linken Seite. Noch so eine neue Rolle. Ausgerechnet auf Schweinsteigers Position reüssiert nun Podolski. Bundestrainer Joachim Löw hat sie zu Konkurrenten gemacht, weil im Sturm kein Platz für Podolski ist und Schweinsteiger seit der vergangenen Weltmeisterschaft an bisweilen unerklärlichen Formschwankungen leidet. „Ich spiele da, wo mich der Trainer hinstellt“, sagt Podolski. „Das ist seine Entscheidung.“ Der Straßenkicker, der zu Trainers Lieblingsschützling geworden ist. Die Rolle kennt man auch schon. Und Schweini? Der habe nach seiner Einwechslung doch auch ganz gut gespielt, teilte der „Man of the Match“ mit – vielleicht ein bisschen zu gönnerhaft. Um ein Haar wäre er aus der Rolle des nettes Kerls gefallen. Um ein Haar. Vergessen.

Lukas Podolski sagt: „Ich spiele da, wo mich der Trainer hinstellt“

In Erinnerung bleiben wird ein großer Auftritt Podolskis. Der will auch weiter für Deutschland treffen und gleichzeitig an Polen denken. „Mit einem Sieg gegen Kroatien können wir ihnen ja ein bisschen helfen“, ließ er gestern via dfb.de mitteilen. Vor die Presse mochte er nicht noch einmal treten. Vielleicht wollte er nicht schon wieder seine Gefühlswelt, seine Zerrissenheit zwischen polnischen Wurzeln und deutscher Gegenwart in die Öffentlichkeit tragen.

Vielleicht wollte er ja einfach mal keine Rolle spielen.