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Archiv-Artikel

„Von demokratischen Idealen verabschieden“

Die internationale Gemeinschaft sollte bis 2013 raus aus Afghanistan, sagte die Regionalforscherin Citha Maaß

CITHA D. MAASS, 61, ist langjährige Afghanistanexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung.

taz: Frau Maaß, Sie kommen gerade aus Afghanistan. Herrscht dort Krieg?

Citha Maaß: In einigen Gegenden ja – sofern man unter Krieg auch die offene militärische Konfrontation mit kleinen Gruppen versteht. Die gibt es zum Beispiel auch in der nordwestlichen Provinz Badghis. Doch ist die Situation dort verschieden vom noch viel intensiveren Kampf gegen die Taliban im Süden.

Die Rede vom friedlichen Norden und dem kriegerischen Süden, passt sie nicht mehr?

Genau. Der Unterschied zwischen dem Konflikt in Badghis und dem im Süden ist allerdings, dass wir es im Norden im Kern mit Kriminalität zu tun haben. Es gibt hier keine geschlossene Aufstandsbewegung, sondern erst einmal kriminelle Nester. Da geht es um Racheakte, weit zurückreichende Fehden, oft wegen Landkonflikten, und um Drogen. Dazu stoßen, meist gezielt aus Pakistan eingeschleust, ideologisierte Aufrührer, die für konkrete Operationen ausgebildet sind. Vor dem Hintergrund der Frustration in der Bevölkerung über wenig Arbeitsplätze, Korruption und schlechtes Funktionieren der Regierung wird daraus eine kriegerische Auseinandersetzung.

Die Bewertungen der Lage in Afghanistan werden hierzulande stetig dramatischer: Einen „dritten Weltkrieg“, geschürt unter anderem von Iran, sah unlängst der Spiegel .

Das geht zu weit. Bei den Interessen, die Iran und Pakistan dort verfolgen, muss man unterscheiden: Einerseits wollen Iran wie Pakistan kein Chaos im Nachbarland. Andererseits wollen sie auch keine allzu stabile Regierung in Kabul, die mit den USA und Indien befreundet ist. Der Iran mag es für ein Ziel halten, durch Drogenhandel den Westen zu unterminieren. Andererseits hat er durch den Drogenfluss durchs Land selbst schon ein massives innenpolitisches Suchtproblem. Hier muss die Staatengemeinschaft mit einem Kooperationsangebot einhaken.

Wie wird sich die Sicherheitslage in Afghanistan durch die Wahlen 2009 dort verändern?

Wir könnten weitere Überraschungen erleben. Präsident Hamid Karsai wird voraussichtlich Deals mit einigen Taliban und auch mit dem Kriegsfürsten Gulbuddin Hekmatjar machen, um halbwegs Ruhe für die Wahlen zu bekommen.

Am Donnerstag findet in Paris eine internationale Afghanistan-Konferenz statt. Was erwarten Sie sich davon?

Die Konferenz wird wahrscheinlich die so nötige ehrliche Bestandsaufnahme, wo wir beim Wiederaufbau stehen, nicht leisten. Stattdessen werden sich die Staatschefs gegenseitig erzählen, wie toll sie schon wieder alles machen. Doch es werden auch zwei Grundsatzdokumente präsentiert werden. Erstens werden die Entwicklungsziele – Aufbau der Armee, eines Rechtsstaats und so weiter – bis 2013 terminiert werden. Zweitens will Karsai neue Verwaltungsstrukturen auf Provinz- und Kommunalebene errichten.

Klingt doch gar nicht schlecht. Und entspricht der Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, in „fünf bis zehn“ Jahren die Truppen abzuziehen.

Nun ja. Karsai muss für seinen Wahlkampf den Spott-Titel „Bürgermeister von Kabul“ loswerden, dafür braucht er mehr Durchgriff im ganzen Land. Doch wirft insbesondere das Dokument zur Rekonstruktion der Provinzverwaltung große Zweifel daran auf, wie demokratisch solche neuen Strukturen sein sollen und was mit den bisherigen gewählten Vertretern vor Ort geschehen soll. Doch wenn man jetzt mehr afghanische Eigenverantwortung einfordert, so gehört dies wohl dazu.

Karsai regiert undemokratisch, und Sie akzeptieren das?

Karsai verfolgt einen „afghanischen“ Regierungsstil, bei dem politische Parteien keine Rolle spielen. Wir müssen das wohl hinnehmen, weil wir zu viel versprochen haben. Man kann ein Land nicht in sieben Jahren umkrempeln. Wir, die internationale Gemeinschaft, müssen von unseren demokratischen Idealen in Afghanistan Abschied nehmen. Zwei Erfahrungen haben wir in Afghanistan gemacht: dauerhafte militärische Präsenz führt nirgendwohin, und es wird immer Händel mit den Kriegsherren vor Ort geben.

Warum?

Nachdem die Amerikaner zugelassen haben, dass die Kriegsfürsten der Nordallianz sich unmittelbar nach Ende der Bombardierungen 2001 in Kabul die wichtigsten Ministerien nahmen, ist Karsai zu immer weiteren Zugeständnissen an diese Exmudschaheddin genötigt. Das wird den Aufbau einer Demokratie, wie wir sie uns vorstellen, für lange, lange Zeit behindern. Daran wird auch der Einsatz von Militär nichts ändern. Deshalb sollte die internationale Gemeinschaft jetzt noch einmal alles geben, damit die afghanische Armee auf die Füße kommt, und 2013 das Land den Afghanen übergeben.

Wie soll der Bundestag im Oktober nach der Bayernwahl eine weitere Truppenverstärkung begründen? Wir kriegen da keine ordentliche Demokratie – aber der Kampf lohnt sich.

Ich weiß, es ist eine schwierige Gratwanderung. Auf meiner Reise sah ich Anzeichen, dass die bisherige Sympathie für die internationalen Truppen auf längere Sicht in Ablehnung umzuschlagen droht. Die Fehler, die wir mit dem Einsatz gemacht haben, sollten uns lehren, das Land bald in Karsais Hände zu legen. Bis dahin müssen wir tatkräftig ausbilden, aber auch Abstriche bei unseren Vorstellungen von Demokratie machen.

Und warum dann nicht gleich „raus aus Afghanistan“?

Wenn wir morgen „rausgehen“, werden alle Demokraten, mit denen wir seit 2001 zusammengearbeitet haben, sofort umgebracht. Das kann keiner verantworten.