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Archiv-Artikel

„Nationalteams sind überholt“

„Wir versuchen Grenzen zu überschreiten“: Harald Aumeier von Türkiyemspor über Nationalismus im Fußball, die Fehler des DFB, Ressentiments in den Vereinen und was passieren muss, damit deutsche Türken endlich für Deutschland spielen

HARALD AUMEIER, 39, ist Türkeibeauftragter des Kreuzberger Regionalligisten Türkiyemspor.

INTERVIEW MIRIAM JANKE

taz: Herr Aumeier, Deutschtürken spielen lieber für die Türkei als für Deutschland. Warum?

Harald „Hacky“ Aumeier: Weil die deutschtürkischen Nachwuchsspieler keine Chance haben. Die deutsche Nationalmannschaft hat sich erst in den letzten vier Jahren für Migranten geöffnet. Es gibt unterschwellige Schranken, keine formalen. Diese Spieler werden von den Vereinen nicht so wahrgenommen. Das kann mit Ressentiments zu tun haben. Oder damit, dass ein deutscher Verein keine Spieler ausbilden will, die dann später für die türkische Nationalmannschaft spielen. Dann lässt er es lieber.

Ist Bikulturalität ein Problem im Fußball, der immer noch national ausgerichtet ist?

Ich persönlich finde Nationalmannschaften überholt. Wir leben in einer Welt, in der das Geld von einem Land ins andere fließt, die Firmen sind transnational, Menschen wandern. Spiele wie Schweden gegen Frankreich sind für mich ein Relikt der 50er-Jahre. Man könnte überlegen, ob man eine Auswahlmannschaft der Bundesliga gegen eine der französischen Ersten Liga spielen lässt. Also: alle Spieler, die in diesem Land gerade spielen, ungeachtet der Nationalität. Aber da hätten die Nationalverbände erst einmal kein Interesse daran. Es geht ja auch um Macht und Kommerz, es gibt viel Geld in dem Bereich. Warum sollten die Nationalverbände von ihren Pfründen was abgeben?

Was müsste sich ändern, damit mehr Migrantenkinder in der deutschen Nationalmannschaft spielen?

Spielerbetreuer und -beobachter des DFB müssten sich auch Spieler anschauen, die keinen deutschen Namen, oft aber einen deutschen Pass haben. Denen fehlt die Ausbildung und das Wissen, dass es dort sehr großes Potenzial gibt, das nutzbar ist. Und ein deutscher Nationalspieler mit türkischem Namen hätte Auswirkungen auf die Migranten in Deutschland: Das wäre eine positive Integrationspersönlichkeit. Die nehmen sich einen Spieler als Vorbild: Der ist aus unserem Bezirk, der hat es geschafft, mit Fußball Geld zu verdienen. Wie schön wäre es, wenn der in der deutschen Nationalmannschaft spielen könnte!

Welchen Stellenwert hat Fußball in der türkischen Gesellschaft?

Man sagt ja immer, die Deutschen seien fußballverrückt. Im Vergleich zu den Türken ist das aber nichts. Das ganze Land steht still, wenn die türkische Nationalmannschaft spielt. Und wenn sie dann auch noch gewinnt, dann ist das ein riesengroßes Fest überall.

Warum ist ein Deutscher Türkeibeauftragter von Türkiyemspor?

Wir machen uns einen Spaß draus: Wir schicken die Türken nach Berlin und die Deutschen in die Türkei. In unserem Vereinsemblem kombinieren wir den Berliner Bären und die türkische Fahne: Damit brechen wir zwei Nationalitäten auf und versuchen etwas Neues zu schaffen. Wir sind ein Verein, der sich nicht in nationale Grenzen einbauen lässt. In Deutschland werden wir oft als türkischer Verein wahrgenommen. Das sind wir nicht. Wir sind im DFB Mitglied, also ein deutscher Verein. In der Türkei wiederum werden wir nur als deutscher Verein wahrgenommen. Wir versuchen die Grenzen zu überschreiten und zu zeigen, dass es einfach ist, miteinander zu arbeiten und zu leben – wenn man akzeptiert, dass man unterschiedlicher Herkunft ist und manchmal andere Blickwinkel hat.

Wie setzen Sie das Multikulturelle praktisch um?

„Multikulturell“ wird momentan politisch negativ besetzt, wir sagen „interkulturell“. Wir wollen den Austausch zwischen den Kulturen fördern, das geht mit dem Vehikel Sport wunderbar, weil da die Hemmschwelle nicht so groß ist. Bei Demos und Podiumsdiskussionen kommen nur die Interessierten. Sport aber braucht keine Bildung, wir sprechen die breite Masse an.

Trotzdem sucht der Verein immer noch einen deutschen Hauptsponsor.

Das ist tragisch. Seit 30 Jahren gibt es Türkiyemspor. Wir spielen sehr erfolgreich Fußball, genießen eine große mediale Aufmerksamkeit in beiden Ländern, sind sozial sehr aktiv. Das wäre für jeden Sponsor ein gefundenes Fressen.