: „Am Rande der Selbstausbeutung“
Niedriglohn-Jobs, Kinderpause, allein erziehend, niedrige Rente: Frauen laufen in ihrer Biografie immer wieder Gefahr, zu verarmen. Ein Gespräch mit Regine Geraedts, der Organisatorin der Fachtagung „Programmierte Frauenarmut“ in Bremen
REGINE GERAEDTS, 49, von der Bremer ZGF organisiert die Tagung „Programmierte Frauenarmut“. Sie hat drei Kinder und ist allein erziehend.
INTERVIEW KLAUS WOLSCHNER
taz: Dass Frauen eher arm sind als Männer, weiß man doch bereits, Frau Geraedts.
Regine Geraedts: Ja?
Dass so viele Kinder arm sind und von Sozialhilfe leben, das hat überrascht. Aber warum eine Tagung darüber, dass Frauen weniger verdienen und daher weniger Rente bekommen als Männer?
Uns hat es nicht so überrascht, dass so viele Kinder arm sind, weil wir wissen, dass so viele Frauen arm sind. Da gibt es einen ursächlichen Zusammenhang. 50 Prozent der bremischen Kinder, die in die Kategorie „Kinderarmut“ fallen, sind Kinder von allein Erziehenden, und 98 Prozent der allein Erziehenden sind Frauen. Nur weil Familien und vor allem eben Frauen arm sind, gibt es den Skandal der Kinderarmut.
Und die Bremer Sozialbehörde wird seit Jahren dafür kritisiert, dass sie nur wenige Männer dazu bekommt, wenigstens zu zahlen.
Das ist auch ein bremisches Problem, ja.
Was erfahren wir auf dem Kongress Neues?
Wir wollen das Thema aufbereiten mit Blick auf die biografischen Risikosituationen für Frauen – also Lebensphasen, in denen die Gefahr, in Armut zu geraten, besonders hoch ist. Eine erste Station ist der Übergang aus dem Bildungssystem in das berufliche System. Jungs haben die schlechteren Zensuren und werden vielfach als Bildungsverlierer bedauert, aber das ändert sich sofort, wenn sie aus der Schule raus sind. Die jungen Frauen stehen dann schlagartig schlechter da, trotz der guten Zeugnisse.
Warum ist das so?
Es gibt mehrere Gründe. Zum Beispiel die Berufswahl. Junge Frauen wählen weniger aussichtsreiche Berufe. Da könnte man weiter fragen: Warum tun sie das? Im Handwerk werden sie Friseurinnen; wenn sie studieren, dann studieren sie Sozialpädagogik oder Kulturwissenschaft und nicht Informatik oder Ingenieurwissenschaften.
Das heißt, die Mädchen sind vor allem selbst verantwortlich?
Die zweite wesentlich Frage ist: Wie aufnahmebereit für Mädchen sind die Ausbildungsmärkte, die traditionell auf Männer eingestellt sind? Wir haben eine zweite Phase in der Biografie der Frauen mit hohem Armutsrisiko, das ist die Erwerbsarbeitsphase. Frauen finden sich viel öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Jede dritte erwerbstätige Frau arbeitet im Niedriglohnbereich. Auch bei den Existenzgründerinnen haben wir eher die kleinen „Ein-Frau“-Unternehmen am Rande der Selbstausbeutung als expandierende Betriebe mit mehreren Angestellten.
Und dann kriegen sie auch noch Kinder.
Kinder sind ein Armutsrisiko, Mütter werden vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Das ist so banal wie wahr. Das hängt an fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, für verheiratete Frauen ist es wegen des Ehegattensplittings oft nicht besonders attraktiv, selbst etwas zu verdienen und davon noch den teuren Kindergartenplatz bezahlen zu müssen. Schließlich ist in unserem Land das traditionelle Rollenbild noch extrem verfestigt – dieses psychologische Moment darf man nicht unterschätzen. Frauen steigen deshalb wegen der Kinder aus der Berufstätigkeit aus, und je länger die Unterbrechung, desto schwieriger der Wiedereinstieg. Dann kommt die Alterskurve, und alles, was sich an den verschiedenen biografischen Risikopunkten entwickelt hat, kommt dann in den niedrigen Frauenrenten zum Tragen.
Ist die Frauenarmut statistisch auch so groß, weil Frauen älter werden?
Die Hochbetagten sind mehrheitlich Frauen. Deswegen behandelt die Tagung auch den Pflegeaspekt.
So weit die Zustandsbeschreibung. Aber die spannende Frage ist ja: Was tun?
In jedem der Foren gibt es jeweils einen Fachvortrag, der die Ausgangssituation wissenschaftlich aufbereitet, und dann einen zweiten, in dem es um Lösungsvorschläge geht. Aus der Diskussion in jedem Forum sollen drei Thesen zur Problembeschreibung und drei konkrete Lösungsansätze hervorgehen. Die sollen auf die spezifische Bremer Situation zugespitzt werden.
Und wie wollen Sie verhindern, dass es diese Vorschläge nur bis ins ZFG-Archiv schaffen?
Wir wollen am Ende mit dem Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen in ein gemeinsames Beratungsgespräch kommen. Frau Nickel wird da mit ihm auf dem Podium sitzen, Heidi Merk, die Bundesvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, und Ulrike Hauffe, unsere Bremer Landesfrauenbeauftragte.
Nach dem, was Sie sagen, müsste die Zentralstelle zur Gleichberechtigung der Frau (ZGF) vor allem Bildungsberatung für junge Frauen machen. Damit Schülerinnen nicht nur Soziologie und Deutsch als Leistungskurse wählen.
Das ist eine der Schlüsselsituationen, klar. Aber die flächendeckende Beratung ist nicht Aufgabe der ZGF. Wir müssen stattdessen diejenigen sensibilisieren und überzeugen, deren originäre Aufgabe diese Beratung ist. Aber da darf man keine kurzfristigen Erfolge erwarten. Bei der Berufswahl spielen ja ganz unterschiedliche Sozialisationsinstanzen eine Rolle: das Elternhaus, die Peergroups, Bilder und Rollenklischees in den Medien. Wir werden Rückenwind durch den viel zitierten Fachkräftemangel bekommen. Unis und Ausbildungsmärkten bleibt gar nichts anderes übrig als sich zu öffnen, sie müssen junge Frauen umwerben. Die Natur- und Ingenieurwissenschaften werden sich bemühen müssen, dass Mädchen, die in den Mathe-Leistungskursen besser abschneiden als die Jungs, auch in ihre Studienfächer kommen. Es muss in den männerdominierten Bereichen des Arbeitsmarkts eine Öffnung zu mehr Vielfalt in den Belegschaften geben.
Ein schöner kategorischer Imperativ.
Und daran müssen wir arbeiten. Ich nenne das Beispiel Girls’ Day. Wir haben das von der ZGF aus initiiert und über Jahre organisiert. Jetzt läuft es. Da gehen Schülerinnen in Berufsbereiche, die als „Männer-Berufe“ gelten. Das verändert Bewusstsein auf beiden Seiten. Es gibt in anderen Bundesländern Mentorinnen-Programme, in denen Studentinnen in männerdominierten Studiengängen als Vorbilder gezielt in die Schulen gehen und für ihren Beruf oder ihr Studienfach werben. Da werden wir als ZGF dranbleiben.
Fachtag: morgen ab 9 Uhr. 16 Uhr, Präsentation der Workshop-Ergebnisse, Diskussion mit Bürgermeister Jens Böhrnsen. Ort: Bremische Bürgerschaft, Festsaal