: Ihr zwei da! Ranhalten bitte!
Wenig Sujets dürften für so viele Bilder gesorgt haben, wie die Liebe. Die Kieler Kunsthalle zeigt nun unter dem Titel „True Romance“ Werke, die sich mit der Liebe beschäftigen – und geht dabei erfreulicher Weise nicht chronologisch vor
Das Beste kommt gleich am Anfang: der Fotofilm „Heartbeat“ der amerikanischen Fotokünstlerin Nan Goldin. Sehr sanft und absolut unaufdringlich fließen die gut 260 Bilder ineinander und eröffnen damit auf eine galante Weise die Sonderausstellung „True Romance. Allegorien der Liebe von der Renaissance bis heute“ in der Kunsthalle Kiel.
Noch dazu bebildert die Arbeit das Thema auf eine überaus leichtfüßige Weise: Man sieht nacheinander je zwei Menschen, wie sie miteinander ihren Alltag verbringen. Sie fahren mit der Bahn, sie frühstücken, sie stehen unter der Dusche, sie lieben sich. Und bei aller Intimität und trotz der entsprechenden Direktheit gibt es nichts zu sehen, was schockieren oder provozieren könnte.
Kuratiert wurde ,True Romance‘ von der in Hamburg lebenden Kunstkritikerin Belinda Grace Gardener, die als Ausgangspunkt für das nun wirklich weite Feld einen Wendepunkt in der Literaturgeschichte wählt: Am Karfreitag des Jahres 1327 trifft der italienische Dichter Francesco Petrarca auf eine Frau namens Laura, die sein Leben verändern wird, weil sie es verändern soll. Er wird ihr in den folgenden 20 Jahren einen Zyklus aus 366 Gedichten schreiben, der heute zur Weltliteratur zählt. Mittlerweile ist man sich sicher, dass jene Laura nie wirklich existiert hat, und damit gilt Petrarca als eine Art Ahnherr der reinen Empfindung ohne äußere Entsprechung; als ein erster Konstrukteur eines Liebesideals, das für sich autonom und kraftvoll genug ist, um eine eigene Wirklichkeit zu erschaffen – der wiederum im realen Leben nachgeeifert werden kann.
Das ist ein vielleicht etwas akademisch anmutender Zugangscode, doch im Nachfolgenden fährt Gardener vieles auf, um immer wieder aufs Neue die Frage von Liebesidealen und ihren Entsprechungen in der Wirklichkeit zu stellen und dazu künstlerische Positionen quer durch die Jahrhunderte vorzustellen. Dabei geht sie nicht chronologisch vor, sondern hat die Werke thematisch wie nach Kapiteln hängen lassen: vom eher untergründigen Gefühl, Liebe sei gerade dann, wenn sie sich nicht erfüllt, bis zur Liebe als Feld sich wandelnder Geschlechterrollen.
Damit folgt Gardener angenehmer Weise der Ausstellungspolitik, der sich das Kunsthaus an der Förde schon lange verschrieben hat: Statt Raum für Raum Kunstepoche für Kunstepoche abzufeiern, im Erdgeschoss das Klassische, irgendwo unterm Dach dann das Aktuelle, wird grundsätzlich thematisch ausgestellt – was regelmäßig die Fans des Althergebrachtem und des unbedingt Neuen durcheinander bringt, indem es sie fortlaufend leibhaftig aufeinander treffen lässt.
Sehr hübsch ist da etwa der Effekt, steht man vor Zeichnungen Edvards Munch mit seinen einander so fremd wirkenden Liebespaaren, während von oben ein gar seltsames Grunzen ertönt: Eine kleine Videoarbeit mit dem Titel „Kiss“ von Anna Jermolaewa, bei der ein Mann und eine Frau voller Hingabe versuchen, sich bunte Comic-Masken vom Gesicht zu reißen – real und natürlich auch metaphorisch.
Von Hans-Peter Feldmann gibt es anonyme Schnappschüsse von Paaren aus den Fotoalben unserer Republik, die im Kontrast mit der satten Ölmalerei eines Carle van Loo noch grotesker wirken. Eine echte Entdeckung ist schließlich die Arbeit „Der Spaziergang“ vom Altmeister Alfred Dürer: eine kleine, nun immerhin 510 Jahre alte Zeichnung, die zunächst nichts anderes als ein recht züchtiges Liebespaar beim Spazierengehen zeigt, während im Hintergrund der gute alte Knochenmann etwas ungeduldig mit dem Stundenglas winkt. Eine klare, eine unmissverständliche Botschaft an alle derzeit Liebenden, die sich da bündelt: Ihr zwei da, ranhalten, bitte. Denn das Liebesgefühl plus die Erwartungen, was da möglicherweise an Körperlichem noch kommen wird, mag euch in diesem Moment aller Alltagssorgen und allem Gegenwartsgefühl entheben – die Uhr läuft trotzdem, egal zu welcher Zeit. Frank Keil
bis zum 7. 9. 2008 in der Kunsthalle Kiel