ausgehen und rumstehen : Dieses kehlige Greta-Garbo-Timbre
Audrey Wilder, Billy Wilders Frau, hat mal behauptet, Greta Garbo habe erstens auf ihren Mann Billy und darum zweitens ständig „zufällig“ mit einem Pott Suppe vor der Tür gestanden. Drittens habe die Garbo andauernd überflüssige Nichtigkeiten wie „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ oder „Kräht der Hahn auf dem Mist, dann verändert sich ’s Wetter, oder ’s bleibt, wie es ist“ von sich gegeben, wobei sie viertens auf auffällig großen Füßen gestanden habe. Man darf dabei nicht vergessen, dass zierlichen Persönchen wie Billy und Audrey Wilder jede Schuhgröße jenseits der 38 vorkommt wie zwei Viermaster.
Das alles spielte ein wenig in meine Ausgehentscheidung am Freitag hinein: Greta Garbo als „Mata Hari“ auf der Großlakenleinwand in einer kleinen Kreuzberger Galerie, die zusätzlich noch extra Agentinnen-Cocktails gemischt hatte, so hochprozentig, dass ich ungelogen mit einem Ausatmer alle Zigaretten neben mir anzündete. Der Film ist schick anzuschauender Quatsch und besteht aus einer phrasendreschenden knochigen Greta Garbo, die sich abwechselnd hochnotmelodramatisch und pubertär zickig verhält. Aber schön war, dass wegen des klapprigen Retro-VHS-Formats nach einer Stunde die Tonspur drei Tonarten tiefer rutschte und aus dem Agentinnenthriller eine Dragqueen-Liebesgeschichte machte: Der große dünne Mann mit der Perlenglatze und dem malaiischen Tempeltanzkostüm schmachtete den anderen Mann mit dem aufgemalten Schnäuzer an. Und so was zog in den frühen 30er-Jahren Millionen in die amerikanischen Kinos, was natürlich sehr für die Toleranz des Publikums spricht.
Aber die vergangenen Generationen waren ja eh nicht ohne. Am Samstag erzählte mir eine blonde, braungebrannte Espressomaschinenverkäuferin auf einer Party im Prenzlauer Berg, dass ihre Oma bis ins hohe Alter jeden Tag ein Drittel eines Dosenbiers zum Mittag und ein Drittel am Abend getrunken und die Dose dazwischen mit einem extra Bierdosenverschluss verschlossen habe. „Und das dritte Drittel?“, fragte ich zögernd, wobei ich vorurteilsbelastete Schi-schi-Hasserin annahm, dass eine braungebrannte, blonde Espressomaschinenverkäuferin nicht unbedingt bis drei zählen kann, wenn sie schon das überflüssigste Yuppiegimmick von allen vertickt. „Das trank sie am nächsten Tag!“, triumphierte die Espressofrau. Ganz auf ihre Seite zog sie mich mit ihrem Einwurf auf meine Feststellung, dass Dosenbierverschlüsse jawohl das Weicheiigste und Luschigste überhaupt seien, denn wer ist so eine Memme, dass er kein ganzes Bier schafft: „Genau wie Weinflaschenverschlüsse, die braucht auch kein Mensch!“ Danach lachte sie mit kehligem Greta-Garbo-Timbre, und ich hielt kleinlaut die Klappe und dachte an meine halb ausgetrunkene und ordnungsgemäß zugestopfte Flasche Rotwein zuhause.
Später schoss ich noch bei einer anderen Party vorbei, und dort gab es einen bemerkenswerten Effekt, der nicht mit Rotwein oder Bier zusammenhing, obwohl ich das dachte: Das Geburtstagskind, das ich vorher nicht gekannt hatte, war ein Zwilling, und als sein Bruder um kurz vor zwölf zu Besuch kam, dachte ich kurz, ich müsse das Fahrrad stehen lassen, der Sicherheit wegen. Irgendwann fiel mir jedoch auf, dass das eine der doppelten Bilder Flipflops und das andere Turnschuhe trug. Beruhigt kippte ich das Glas wieder voll. Trotzdem wundert mich bis heute, wieso die Turnschuhe des einen Zwillings keine Schnürsenkel hatten. Um mich im Nachhinein wohlig zu gruseln, bilde ich mir einfach ein, er sei direkt aus dem Knast gekommen. JENNI ZYLKA