spielplätze (8): im türkiyemspor-fanclub : Freudengeheul und Lobgesang
Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Türkei – Tschechien im Türkiyemspor-Fanclub am Kottbusser Tor.
„O Türkiye!“, singen die Fans immerzu. Und: „Türkiye, Türkiye!“ Kreuzberg sieht rot. Man möchte an diesem Sonntagabend meinen, die türkische Nationalmannschaft habe bereits das EM-Finale gewonnen. Riesige Menschentrauben mit Halbmond-Flaggen strömen auf die Straßen rund um das Kottbusser Tor – und feiern. Am Kreisel dreht ein Porschefahrer seine Runden. Er hat sein Gefährt besonders herausgeputzt – der Schlitten ist mit zwei großen Türkei-Flaggen geschmückt und sieht damit aus wie ein übergroßes, in Geschenkpapier eingewickeltes Spielzeugauto.
Im Fanclub von Türkiyemspor, einem türkischen Berliner Fußballverein, haben 300 Fans – darunter auch 20 Deutsche – das Fußballspiel gegen Tschechien verfolgt. Ihr Traum vom Viertelfinale schien früh geplatzt. Doch als Arda Turan in der 75. Minute das erste türkische Tor schießt, ertönen Freudengeheul und Lobgesänge.
Und nach den zwei weiteren Toren brodelt es im Club: Männer fallen auf die Knie, umarmen sich, schreien wild durcheinander, singen. Der Barmann setzt freudig neuen Tee auf. Eine Gruppe türkischer Jugendlicher schwenkt Fahnen und tanzt dabei. Kaum jemand achtet mehr auf die letzten Minuten des Spiels. Keinen kümmert es, dass Torwart Volkan Demirel fast mit dem Schlusspfiff noch die rote Karte bekommt. „O Türkiye“ – die Türkei ist im (Viertel-)Finale.
Auch Oflu hatte nicht an einen Sieg der Türkei geglaubt. Er trainiert eine Jugendmannschaft beim Türkiyemspor. Er selbst habe, so sagt er, in den 80er-Jahren bei Hertha BSC gespielt. Deswegen will der 46-Jährige seinen vollen Namen nicht nennen. „Wissen Sie, ich bin hier sehr bekannt“, flüstert er.
Oflus Prognose zu Anfang der zweiten Halbzeit lautet: „Die Tschechen werden müde. Die Türkei schafft den Ausgleich. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie gewinnen, beträgt nur dreißig Prozent.“ Ob er Türkei-Fan sei? „Ich bin Sportler“, entgegnet Oflu kühl.
Bevor die ersten türkischen Tore fallen, herrscht Stille im Fanclub. Zuweilen wird getuschelt und leise diskutiert. Stirnrunzeln, als der tschechische Stürmer Jan Koller das erste Tor schießt. Die vielen türkischen Flaggen an der Decke, die den kargen Raum bunter gestalten sollen, wirken wie überflüssige Staffage. Genauso wie die vielen silbernen Pokale auf einem Regal hoch oben an der Wand, die an glorreiche Siege des Türkiyemspor erinnern.
Nur die einzelnen Werbetafeln für einen Obsthändler zwischen den beiden TV-Leinwänden spendeten ein bisschen Glanz. Und wer seine Augen nicht angestrengt auf das Geschehen im Stadion heftete, der mochte sich darüber amüsieren, dass Türkiyemspor auf seinen zwei Leinwänden sowohl die deutsche als auch die türkische Fußballübertragung sendete („Und die schweizerische“, betonte Oflu und zeigte auf einen kleinen Fernsehmonitor). Natürlich war während des Spiels der türkische Kommentator zu hören. Nur in der Halbzeitspause kam ZDF-Moderator Johannes B. Kerner auch mal zu Wort.
Doch nach dem Spiel sind alle Sorgen vergessen. Im Fanclub von Türkiyemspor freuen sich die wenigen verbliebenen Menschen auf das Viertelfinale. Und die paar Nichttürken im Club bestellen sich noch ein Glas türkischen Tee. NORA GROSSE-HARMANN
Türkiyemspor-Fanclub, Admiralstraße 37, alle Spiele auf zwei Leinwänden, 2,50 Euro Eintritt bei Türkei-Spielen (inkl. Getränk)