Editorial

So sagen das konservative Kommentatoren unverblümt: Die Verantwortungsgemeinschaft zweier homosexuell Liebender soll mit der klassischen Ehe nicht gleichgestellt werden. Denn sonst würde die Wertigkeit nicht erkennbar – und um unterschiedliche Wertschätzungen solle es doch gehen. Während heterosexuelle Ehen auch einen höheren Wert haben sollen, wenn aus ihnen keine Kinder hervorgehen, können homosexuelle Partnerschaften auch dann keine Ehen sein, wenn bei ihnen Kinder leben – wie dies zehntausendfach in der Wirklichkeit der Fall ist. Geht es also wirklich um Reproduktion?

Schwule und Lesben sollen heute nicht mehr staatlich verfolgt werden. Aber sie sollen deutlich als weniger wert erachtet werden. Über diesen Umstand mag jedeR sich im Einzelnen hinwegsetzen wollen – das Coming-out, die Selbstidentifizierung von Männern oder Frauen als schwul oder lesbisch, fordert weiterhin einen hohen Preis: die Liebe und Anerkennung der eigenen Familie.

Dieses Jahr wird in Berlin die 30. deutsche Christopher-Street-Parade gefeiert. „Hass du was dagegen?“ lautet das Motto – und Hass ist das Thema dieses Umzuges. Lesben und Schwule merken zwar im Vergleich zu dem Jahr 1978 eine starke Besserung ihrer Lebensumstände, zuvörderst in rechtlicher Hinsicht. Auch die Freiräume sind größer geworden – in den Medien sind Worte wie „schwul“ oder „lesbisch“ keine Vokabeln mehr, die als unzumutbar gelten. In Deutschland, wie in der westlich-liberalen Welt überhaupt, haben Homosexuelle Freiheits(t)räume realisieren können, oft gegen den erbitterten Widerstand klerikal-konservativer Milieus.

Doch noch immer macht ihnen vor allem eines zu schaffen: die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunftsfamilie, in der den Kindern mal mehr, mal weniger subtil vermittelt wird, dass man sie als Homosexuelle eher weniger wertschätzen würde. Alles darf passieren, aber nur nicht, ein schwules oder lesbisches Kind zu haben!

Dieses taz.mag widmet sich diesem erstaunlichen Phänomen: Warum wird in den allermeisten Familien eine mögliche Homosexualität des eigenen Nachwuchses für unerwünscht gehalten – weshalb bestrafen Eltern ihre Kinder mit Liebesentzug, erweisen sich diese als schwul oder lesbisch? Warum verweigern sie ihre Unterstützung?

Und wie verhält es sich mit den therapeutischen Angeboten: wie kam es, dass die Psychologie erst allmählich beginnt, Homosexualität als gleichwertig zu betrachten?

Und könnte es nicht sein, dass auch die aufgeklärten Schichten die CSD-Paraden gerne als bunt, schrill und karnevalesk wahrnehmen, weil diese Munterkeit gnädig darüber hinwegtäuschen kann, welche Tragödien sich hinter der aufgekratzten Fassade verbergen?

JAN FEDDERSEN