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Archiv-Artikel

Eng beieinander

Was passiert am Mittwoch, wenn deutsche und türkische Fans gemeinsam das Halbfinale in deutschen Städten gucken? Während es in Hannover ein eigenes Public Viewing für die türkischen Fans geben wird, posieren in Hamburg CDU-Politiker in Nationaltrikots

Was die Polizei in Hannover kennt, ist das Szenario, wenn Hannover 96 in der Bundesliga ein Heimspiel hat. Die Fans der gegnerischen Mannschaft kommen dann mit dem Zug und der Teil der Fans, den die Polizei als gewaltbereit einstuft, wird von den Polizisten am Bahnhof empfangen, zum Stadion geleitet und nach dem Spiel wieder dort abgeholt. Das ist die Bundesliga-Routine.

Neu aber ist, wenn die Fans beider Mannschaften nicht anreisen, sondern schon am Ort des Geschehens leben. Neu ist auch, wenn es sich bei den Fans um die beiden größten Bevölkerungsgruppen der Stadt handelt: In Hannover, Bremen und Hamburg sind die Türken die größte Bevölkerungsgruppe nach den Deutschen. Wenn am Mittwoch die Türkei gegen Deutschland im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft spielt, werden sich die Fans beider Teams in Massen begegnen, in den Innenstädten und vor allem bei den Public Viewings. Das heißt natürlich keineswegs, dass es deswegen zu Randale kommen muss. Und trotzdem ist diese Halbfinal-Paarung aus Sicht der Polizei alles andere als wünschenswert.

In Hannover haben sich Polizei und Stadt deswegen dazu entschlossen, eine weitere Großbildleinwand aufzustellen. Ganz bewusst wird diese im türkisch geprägten Steintorviertel in Hannover stehen: „Wir rechnen damit, dass sich dort eher die türkischen Mitbürger aufhalten werden, weil das in gewisser Weise ihr Quartier ist“, sagt Stefan Wittke von der Polizei in Hannover. Die deutschen Fans vermutet die Polizei mehrheitlich beim anderen Public Viewings in der Nähe der AWD Arena.

Die Idee ist, so die beiden Fangruppen während des Spiels einigermaßen auseinander zu halten. Nach dem Spiel allerdings, so das Kalkül der Polizei, werden viele der deutschen Fans ins Steintorviertel gehen, das ja zugleich ein Vergnügungsviertel ist. Die Polizei wird auch da sein. Es werde insgesamt ein „größerer Einsatz“, sagt Wittke.

Auch rund um das Heiligengeist-Feld in Hamburg wird die Polizei verstärkt vor Ort sein: Das Hamburger Public Viewing bietet 35.000 Menschen Platz, es ist das größte Fanfest in Norddeutschland. Eine Verstärkung der Einsatzkräfte sei schon deswegen notwendig, weil diesmal deutsche und türkische Fußball-Anhänger die Straßen gleichzeitig bevölkern würden, sagte Polizeisprecher Ralf Meyer. Zu Einzelheiten der Einsatzplanung wollte er sich nicht äußern. Meyer: „Wir gehen von einem Fußballfest aus – von einem friedlichen und freundschaftlichen Miteinander.“

Währenddessen lud die Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion zu einem Fototermin ins Rathaus: Die beiden türkischstämmigen CDU-Abgeordneten Aygül Özkan und David Erkalp mussten, gekleidet in ein deutsches (Erkalp) und ein türkisches (Özgan) Fußball-Trikot und behängt mit Blumenketten in den jeweils anderen Farben für „ein friedliches Miteinander von Türken und Deutschen“ posieren. Und CDU-Fraktionschef Frank Schira teilte mit: „Aggressivität oder gar Gewalt gegen die Fans der gegnerischen Mannschaft haben absolut nichts zu tun mit dem friedlichen Charakter einer Sportveranstaltung.“

Schlicht „ein Fußballfest“ erwartet der Fan-Forscher Gunter A. Pilz von der Universität Hannover – schließlich lebten Türken und Deutsche in Deutschland „im Großen und Ganzen nicht gegeneinander, sondern miteinander“. Natürlich können Emotionen gerade in Verbindung mit Alkohol „über das Ziel hinausschießen“ und ferner sei die Frage, wie die Verlierer ihre Niederlage verkraften und die Gewinner im Angesicht der Verlierer mit ihrem Sieg umgehen würden.

In Berlin scheint man von Provokationen kaum auszugehen: In der Stadt mit den meisten türkischen Einwohnern hat man die Fan-Meile erstmal verlängert. Um einen halben Kilometer. KLAUS IRLER