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BERLINER PLATTENVon Prinzen und schnippischen älteren Damen: Johanna Zeul soll dem deutschsprachigen Pop eine Zukunft geben, und Scorbüt zerfleddern älteres Liedgut

Johanna Zeul, das ist also eine Absolventin der Popakademie Mannheim, 2006 bekam sie den Rio-Reiser-Songpreis, außerdem ist sie die Tochter des Liedermachers Thomas Felder, der übrigens mächtig schreien kann, ganz angst und bang möchte es einem da werden. Schreien kann Johanna Zeul auch. Dass diese Frau mit den Fingern in der Steckdose schlafe, ist über sie zu lesen, und der Tagesspiegel bezeichnete sie jüngst als „singenden Marshall-Amp“. Da muss schon Energie im Spiel sein, auf der Bühne, aber jetzt hat die seit einiger Zeit in Berlin lebende Johanna Zeul erst einmal ihr Debütalbum vorgelegt, auf ihrem eigenen Label. Mit dem „Album No. 1“ hat man dann einen Girlism in etwa in der Spanne zwischen Avril Lavigne und Wir sind Helden, und in dieser Gegend ist es auch musikalisch einzuordnen, also ausreichend abwechslungsreicher Pop: neudeutschwellig, leise und lauernd, liedermacherig und dann wieder Powerpop, und das durchaus auch radiotauglich.

Dazu gibt Johanna Zeul neckend das Jungmädchen, mimt das Trotzkind und singt ihre Texte, die sich manchmal doch arg wie dem Poesiealbum abgerungen anhören, auch wenn da kokett mit den Klischees gespielt wird, die eben augenklimpernd gleich wieder bestätigt werden: die Prinzen, die einen auf ihren Pferden mitnehmen sollen, wie bei „Nur bei dir“ zu hören.

Wo aber noch Prinzen wohnen, da sollten auch die Prinzessinnen nicht weit sein, und in diesem Stand wünscht man sich ja Johanna Zeul (auch das ist oft über sie zu lesen), als ersehnte neue Prinzessin der deutschsprachigen Popmusik, und so ein Titel wie „Hallo Leben“ (was kannst du mir geben / Ich will Wahrheit / Denn jeder kann lügen / Ich will Freundschaft / Nur wenn sie nichts kostet…) sollte mit dem eingebauten Nirvana-Verweis im Refrain „jetzt bin ich hier / Was gibst du mir“ (Nirvana: „Here we are now / Entertain us“) doch das Zeug zu einem kleinen Hit haben.

Genau das hat man mit „Toutes Directions“, dem Debüt von Scorbüt. Eben größtenteils Hits, die sich das Trio um die Sängerin Caroline du Bled zur Brust nimmt, sie dabei manchmal recht achtlos herzend, aus Kalkül natürlich: nachlässig, beiläufig, atemlos. Das sind freie, schnelle Nachzeichnungen in Schwarz-Weiß von so hübsch kolorierten alten Ansichtskarten, die diese Lieder eben sind wie „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ und von Hans Albers „La Paloma“. Schnippisch wird die Dame zum Dämchen flachgelegt in der Dietrich-Hymne „Von Kopf bis Fuß“. In diesem Verfahren aber wird das alte in den Liedern wohnende Pathos, das doch gebrochen werden wollte, einfach mit einem neuen Pathos ausgetauscht. Dem der Distanzierung nämlich, die aber nie wirklich weg von den Liedern kommt. Weil ohne diese Originale wäre man ja – nichts. Dann gäbe es die Aufgabe gar nicht, und in diesem Dilemma wird man gern zu der Kabarett-Kleinkunst zerrieben, die Scorbüt aber wahrscheinlich genau sein wollen.

Bei den reichlich beigegebenen französischen Chansons, vor allem Brel, geben sich Scorbüt übrigens etwas herzlicher. Da darf die große Geste auch große Geste bleiben. THOMAS MAUCH

Johanna Zeul: „Album No. 1“ (Gold undTier/Broken Silence) Record-Release-Party Sa. Lovelite

Scorbüt „Toutes Directions“ (Silberblick) Record-Release-Party Fr. Ballhaus Ost, 20.30 Uhr, 5 €

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