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Archiv-Artikel

Unwürdig altern dank Pflege

Claus Fussek und Gottlob Schober zeichnen detailreich und umfassend ein Schreckensbild von deutschen Pflegeheimen. Überzeugend belegen sie: Solange mit Hilfsbedürftigen Geld verdient wird, können sich die Zustände nicht bessern

VON ULRIKE WINKELMANN

Claus Fussek und Gottlob Schober sind professionelle Anprangerer. Fussek, Sozialarbeiter und Deutschlands bekanntester „Pflegekritiker“, beklagt seit Jahrzehnten die Zustände in deutschen Pflegeheimen. Der Journalist Schober hat für „Report Mainz“ schon manchen Pflegeskandal aufbereitet. Zusammen haben die beiden jetzt in einem Buch grauenerregende Beispiele von Misshandlungen alter Menschen zusammengetragen. Sie schildern, wer von der „gefährlichen Pflege“ profitiert und wie das Pflegesystem verändert werden müsste.

„Im Netz der Pflegemafia“ reiht sich ein in die jüngeren Neuerscheinungen zum teilweise menschenquälerischen Pflegebetrieb in Deutschland. Doch ist bislang kein Band so detailreich und umfassend, so voller Beispiele und unterschiedlicher Stimmen wie dieser. Dadurch erreicht er freilich auch die Grenzen der Lesbarkeit – jedenfalls für Laien.

In dem Bemühen, die unzähligen Informationen immer wieder neu zur Anklage zu bündeln, greifen die Autoren oft zu hilflosen Ausrufen: Das ist gegen die Menschenwürde! So zynisch wie zutreffend ist der wiederkehrende Vergleich mit dem Tierschutz: Würden Hunde oder Eisbären so behandelt wie alte Menschen, fände der Volkszorn kein Halten mehr.

Doch es ist merkwürdig: Fussek und Schober bieten alles auf, was der Instrumentenkoffer des Anprangerns hergibt – Fakten, Zuspitzungen, Personalisierungen, politische Forderungen. Trotzdem wird man beim Lesen das Gefühl nicht los, dass die kritische Masse an Öffentlichkeit, die es für eine Änderung der Zustände braucht, beim Thema Pflege kaum je zustande kommen wird. Wahrscheinlich akzeptiert die Gesellschaft mittlerweile, dass alte und hinfällige Bürger vernachlässigt werden.

Die vor wenigen Wochen verabschiedete Pflegereform enthält immerhin einen der wichtigsten Punkte von Fussek und Schober: unangekündigte Kontrollen in den Heimen. Doch ist diese Reform ein typisch großkoalitionärer Schrumpfbeschluss. An der unmenschlichen Abfertigungskultur in vielen Heimen wird sich durch einige zusätzliche Mittel speziell auch für Demenzkranke nichts ändern.

Fussek und Schober berichten etwa, wie alte Menschen mit Bauchgurten am Bett gefesselt wurden und sich bei dem Versuch, sich daraus zu befreien, mit dem Gurt stranguliert haben. Die Heime erklären: Fixierungen, also Fesselungen, seien notwendig – etwa um die Bewohner vor Stürzen und dem gefürchteten Oberschenkelhalsbruch zu schützen, der viele für immer immobil macht.

Doch plausibel erläutern die Autoren, dass mindestens die Hälfte aller „Fixierungen“ unnötig ist. Auch lassen sich Oberschenkelhalsbrüche inzwischen durch Plastikschalen, sogenannte Hüftprotektoren, weitgehend verhindern. Heime werden vorgestellt, in denen sich die meisten Bewohner frei bewegen können.

Das Kapitel über die Pflegelobby gibt Einblick in eine bislang unterschätzte Macht. Jeder kennt die mächtige Ärztelobby – haben Pflegerinnen den gleichen Einfluss? Natürlich nicht. Doch die Wohlfahrtsverbände als Betreiber von Heimen sehr wohl. Fussek/Schober zitieren den Brief, in dem etwa die ehrwürdige Caritas in der Diözese Würzburg versucht, unangekündigte Heimkontrollen zu verhindern. Wer bislang glaubte, die Kirchen oder die Arbeiterwohlfahrt hätten im Pflegebetrieb einen moralischen Vorsprung, wird hier eines Besseren belehrt.

Wie also kann man in Würde altern, wenn man pflegebedürftig wird? Fussek/Schober geben eine ambivalente Antwort. Ihr Besuch in einem vorbildlichen Heim – nicht etwa nur für reiche Alte – in Wesseling bei Köln zeigt vor allem: Mit Pflege sollten keine Gewinne erwirtschaftet werden müssen. Warum gibt es nur so wenige solcher Heime, fragen sie im abschließenden Interview den alternden Fernsehsatiriker Dieter Hildebrandt, der sich seit einiger Zeit mit Pflege beschäftigt. Er sagt: „Sicher gibt es solche Heime auch – klar. Aber die Frage kann ich nicht beantworten, warum das alles so ist, weil ich nicht beantworten kann, warum wir so sind.“

Claus Fussek/Gottlob Schober: „Im Netz der Pflegemafia. Wie mit menschenunwürdiger Pflege Geschäfte gemacht werden“. C. Bertelsmann, München 2008, 400 Seiten, 14,95 Euro