: Für die letzten Mohikaner
Der Biohändler und Stadtteil-Aktivist Robert Jarowoy hat die W 3-Kneipe übernommen. Er will sich in das Programm des Dritte-Welt-Zentrums einklinken und ökologische Speisen anbieten. Auf der Karte steht asiatische Küche ebenso wie Labskaus
VON BIRGIT GÄRTNER
Einst wollte er mit der Spaßguerilla die Welt verändern, dann als Öko-Grossist ein Bewusstsein für Umweltprobleme schaffen. Jetzt will Robert Jarowoy als Kneipenwirt die Lebensqualität in Ottensen verbessern. Der frisch gebackene Chef der Bezirksfraktion der Linken in Altona schaffte im Frühjahr nicht nur den Sprung ins Parlament, sondern wagte geschäftlich einen großen Schritt: gemeinsam mit seinem Partner Nihat Gundi übernahm Jarowoy im April die Kneipe im Kommunikations- und Informationszentrum Werkstatt 3 (W 3). Zwei Dinge sind den beiden dabei wichtig: die Einbindung in das Konzept der W 3 und die regional-saisonale Ausrichtung der Küche.
„Wir wollten einen Ort schaffen für die letzten Mohikaner, die den Aufkauf Ottensens durch den italienischen Reifen-Konzern Pirelli nicht schick finden und der Gentrification im Stadtteil etwas entgegensetzen wollen“, sagt Jarowoy unter Anspielung auf die Neubebauung des Bismarckbad-Grundstücks. „Wir wollen keine moderne Szenekneipe sein, sondern eine, wo sich die Leute treffen und in Ruhe quatschen können.“ Wenn es warm ist, können Speisen und Getränke unter großen Schirmen draußen eingenommen werden.
Die W 3 wurde 1979 „als internationale Begegnungsstätte und Veranstaltungsort für entwicklungspolitische und interkulturelle Themen“ gegründet und hat sich „im Laufe der Jahre als Dritte-Welt-Zentrum Hamburg etabliert“, wie auf deren Website zu lesen ist. Angesiedelt sind dort Organisationen wie Robin Wood, der Flüchtlingsrat, das Pestizid- Aktions-Netzwerk PAN Germany, die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), der Nicaragua-Verein oder das Anti-Atom-Büro. Die W 3 Kneipe spielt als Treffpunkt für politisch Interessierte aus dem Stadtteil, aber auch für die BesucherInnen der Veranstaltungen in der W 3 eine große Rolle.
„Für uns bedeutet das, dass wir uns mit unserem Angebot an die ökologische Ausrichtung der W 3 anpassen und uns in die Gestaltung des Programms einklinken“, erläutert Jarowoy. Geplant sind Veranstaltungen zur Stadtteilpolitik, aber auch zu globalen Themen wie dem Türkei-Kurdistan-Konflikt.
Schlichte, aber eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden der Kneipe sind Zeugnis für die politischen Aktivitäten der Betreiber sowie die bewegte Geschichte des Stadtteils. Zum Teil handelt es sich um historische Aufnahmen Ottensens, zum Teil um Bilder aus verschiedenen politischen Kämpfen, wie den Erhalt des Bismarckbads. Jarowoy war Sprecher der Initiative gegen den Abriss des alten Hallenbades. Am Tresen liegt sein Lokalkrimi „Tod im Bismarckbad“ zum Verkauf aus.
Kulinarisch schwebt ihm eine Verkostung zum Thema Bio-Käse vor. Für Jarowoy hätte das den Nebeneffekt, dass er sein neues mit seinem bisherigen Geschäft, dem Vertrieb einer Käse-Abokiste, verbinden würde. „Ich könnte mir vorstellen, dass die W3-Kneipe zur Abholstation für das Käsekistchen wird“, sagt er.
Das Angebot an Speisen und Getränken ist überwiegend aus dem Bio-Anbau. Gezapft werden Jever und Radeberger. Zusätzlich gibt es Bio-Bier von Pinkus in Flaschen, konventionelle und Bio-Weine sowie Öko-Säfte. „Bei den Lebensmitteln müssen wir manchmal im konventionellen Großhandel nachkaufen, aber wir streben an, bis zum Herbst ausschließlich Öko-Produkte zu verwenden“, sagt Jarowoy. „Dann wollen wir uns als Bio-Restaurant zertifizieren lassen.“ Die Speisekarte ist ebenso bodenständig wie übersichtlich: eine überschaubare Anzahl an Gerichten, die teilweise täglich wechseln, teilweise aber Standard sind, wie Bratkartoffelgerichte oder Labskaus. Die Gerichte bewegen sich im Rahmen von vier bis zehn Euro. Der Mittagstisch kostet bis zu sieben Euro.
Angeboten werden Suppen und Salate, Fleisch- und Fischgerichte, aber auch vegetarische und vegane Speisen. „Labskaus geht bei uns wie verrückt“, sagt Jarowoy. „Da haben wir eine Marktlücke entdeckt: In ganz Ottensen gibt es kein Restaurant, das norddeutsche Küche anbietet.“ Ergänzt wird das regionaltypische Angebot durch asiatische Küche – ein Zugeständnis an den malayischen Koch. So kommt täglich eine interessante Mischung zu Stande, die für jeden Geschmack etwas bietet – und das in hoher Qualität und appetitlich angerichtet.
Beim Einkauf kann Jarowoy auf seine Erfahrung, seine Kenntnisse und seine Kontakte als Öko-Grossist zurückgreifen. Er lieferte die Demeter-Gemüsetüte, die mit Obst und Gemüse der Jahreszeit von Bauern aus dem Umland gefüllt war und im Bioladen um die Ecke abgeholt werden konnte. Dieselben Bauern liefern ihm heute den Käse für das Käsekistchen und jetzt auch einen Teil der Lebensmittel für das Restaurant.