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Archiv-Artikel

Kein Blickkontakt, unhörbare Stimme

Der Prozess um die toten Kinder von Darry beginnt in Kiel: Angeklagt ist die Mutter, die ihre fünf Söhne umgebracht haben soll. Dass die psychisch kranke Frau eine Mörderin ist, glaubt nicht mal die Staatsanwaltschaft

Oben in der Küche standen noch Nuckelflaschen, unten im Keller lagen Matratzen. Als er die Decken wegzog, sah der Polizist Klaus Becker die kleinen Leichname, einige hatten Plastiktüten über dem Kopf. Fünf Tote fanden Becker und sein Kollege im vergangenen Dezember in dem Haus in Darry in Schleswig-Holstein. Am Freitag nun sagte der Polizist vor dem Kieler Landgericht aus – als erster Zeuge im Prozess gegen die Mutter der getöteten Kinder. Die 32-jährige Steffi K. hatte sich nach der Tat in einer psychiatrischen Klinik gemeldet und erklärt, Aidan (3), Ronan (5), Liam (6), Jonas (8) und Justin (9) mit Tabletten betäubt und erstickt zu haben.

Zurzeit ist die Frau in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Sie sei eine Gefahr für die Allgemeinheit, befand Oberstaatsanwalt Uwe Wick bereits im Dezember. Wegen einer „krankhaften seelischen Störung“ sei sie aber unfähig, das „Unrecht ihrer Taten einzusehen“. In der Anklageschrift hieß es, Steffi K. habe „gemordet, ohne Mörderin zu sein“. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Frau dauerhaft in einer Anstalt unterzubringen.

Am Freitag drängten sich Fernsehteams und Fotografen in Saal 232 des Landgerichts. Steffi K., gekleidet in einen schwarzen Trainingsanzug, vermied den Blickkontakt mit den Zuhörerbänken, drehte ihren Stuhl dem Richtertisch zu und sprach mit kaum hörbarer Stimme. Auch ihren Mann, den US-Amerikaner Michael K., der als Nebenkläger auftritt, sah sie nicht an. Nicht einmal, als er weinte, während die Details des Leichenfundes besprochen wurden.

Michael K., Vater der drei jüngeren Kinder, erhebt Vorwürfe nicht nur gegen die psychisch gestörte Frau: Behörden und Ärzte seien mitschuldig. Die Familie stand unter Betreuung, der Mann hatte die Ämter auf die Wahnvorstellungen seiner Frau aufmerksam gemacht. Der Kreis Plön wies eine Mitschuld zurück.

Laut Anklageschrift hörte Steffi K. die Stimme einer Person namens Natalie, die sie und ihre Kinder bedrohte. Nur im Totenreich seien sie sicher, glaubte K., die nach dem fünffachen Mord offenbar versuchte, sich umzubringen.

Schon als Kind sei Steffi K. „bockig“ gewesen, berichtete eine Kripobeamtin aus einem Gespräch mit der Mutter der Angeklagten. Geboren in Halle, zog K. nach der Wende mit der Mutter nach Hamburg, machte in Eutin den Hauptschulabschluss. Sie lernte Kinderpflegerin, jobbte aber an einer Tankstelle. Mit 19 zog sie aus, brach für Jahre den Kontakt zu Mutter ab. Diese erfuhr nur über Bekannte, dass ihre Tochter schwanger war. Den ersten Freund, Martin M., verließ Steffi K. für Michael K.

Im Prozess sollen ab Mitte Juli weitere Zeugen und Gutachter aussagen. ESTHER GEISSLINGER