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Archiv-Artikel

Ich war der Bountyboy

Wie schwarz hat eine schwarze Identifikationsfigur zu sein? Das beschäftigt den britischen Performer Robert Deacon in seiner Performance „What ever happened to Colin Powell?“, Teil des Live Brits II Festival Superintimacy im HAU

Das Auftauchen von Barack Obama stürzte Robin Deacon in eine kleine Krise. Seit 2004 war der britische Performer mit einem Stück über Colin Powell durch Europa getingelt und hatte die Geschichte des einzigen schwarzen US-Politikers verhandelt, der sich in den letzten Jahren hervorgetan hatte. Doch Ende letzten Jahres veränderten sich die Vorzeichen. Plötzlich ging neben dem ambivalenten Außenminister a. D. ein neuer schwarzer Stern über Washington auf.

Ein paar Wochen nach der endgültigen Nominierung der Demokraten geht Deacon nun in die Offensive. „Ich war eigentlich immer stolz darauf, dass meine Stücke einen großen Aktualitätsbezug haben“, erklärt er. „Aber unsere Welt verändert sich nun mal ständig, man diskutiert täglich über neue Themen, und Thema Nummer 1 ist im Moment Barack Obama.“ Auf diese Tatsache reagiert Deacon, indem er seine multimediale Lecture Performance nun mit Fernsehbildern des Präsidentschaftskandidaten eröffnet. Weiter geht es wie gehabt mit der Frage, was aus Colin Powell wurde, auch wenn über allem nun der Vergleich mit Obama schwebt. Denn etwas haben beide gemein. Sie verkörpern jenen politischen Typus, der die wohlhabende schwarze Mittelschicht repräsentiert und deren steiler politischer Aufstieg immer wieder als Verrat an der schwarzen Unterschicht interpretiert wurde. Dieses Paradoxon analysiert Deacon in wunderbaren kleinen Erzählungen und erörtert dabei die Frage, wie schwarz eine schwarze Identifikationsfigur zu sein hat.

Damit thematisiert der schwarze Brite aus London auch die Implikationen der eigenen Herkunft. „Als ich aufwuchs, wurde ich von weißen Kindern nie wegen meiner Hautfarbe diskriminiert“, erzählt der 33-Jährige in seiner Lecture Performance. „Unter meinen schwarzen Schulkameraden war ich allerdings alles andere als beliebt. Es lag wohl an meiner Bildung, meinem Akzent, meiner Kleidung, der Tatsache, dass ich keine schwarzen Freunde hatte und meinem Desinteressen an Rapmusik… irgendwie wurde das alles als Verrat an meinen sogenannten Wurzeln interpretiert.“

Um dieses Problem nachträglich zu analysieren, scheut Deacon keine Mühen. Selbst wenn es bedeutet, dass er sich von Kopf bis Fuß mit Süßigkeiten einschmiert, um zu demonstrieren, dass der Rassismus auch in harmlos wirkenden Süßigkeiten lauert. „Ich habe als Kind ernstlich unter dem Bounty-Riegel gelitten“, erzählt er. „Unter dieser simplen Dichotomie, die in den Inhaltsstoffen dieser Süßigkeit steckt.“ Denn ein Bounty ist außen schokoladenschwarz, innen aber kokossplitterweiß. Eine Zusammensetzung, in der Deacon offensichtliche Analogien zur eigenen Teenagerzeit als verweislichter Schwarzer wittert. „Ich selbst war der Bountyboy“, sagt er und klingt noch immer ein wenig verzweifelt.

Ähnlich verzweifelt, wie er den vermeintlichen Leidensbruder Colin Powell darstellt, dem, wie Deacon, die passende Streetcredibility zur Hautfarbe zu fehlen scheint. Konsequenterweise tritt Deacon zu großen Teilen hinter die Figur Powell zurück, vermittelt seinem Publikum glaubhaft, dass die eigene Hauptfigur des Abends der alternde Politiker ist.

Ganz so subtil werden sich nicht alle Teilnehmer des Festivals im HAU geben, das einige der interessantesten Live Art Künstler aus Großbritannien versammelt. Doch immerhin verlegt sich selbst Franko B, Enfant Terrible der Live Art Szene und Experte in Sachen Eigenblutperformance, dieses Mal auf das unaufgeregte Format der Lecture. Das Performerduo Lone Twin beschäftigt sich mit dem Prinzip Hoffnung, und die Altstars der britischen Performer-Szene, Forced Entertainment, warten in ihrer neuen Metashow „Spectacular“ mit Betrachtungen über den Tod auf.

Fast erscheint Deacons Abhandlung vor diesem Hintergrund unspektakulär. Aber bei ihm geht es eben um das ganz genaue Hinsehen.

ELISABETH WELLERSHAUS

„Live Brits“, bis 5. Juli, Programm unter www.hebbel-am-ufer.de. Die Lecture von Robert Deacon kommt am 5. Juli, 20 Uhr, HAU 1