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Archiv-Artikel

Urban gestapelte Dörfer

Im Norden Pflanzen, im Osten Beton, im Westen Kiesel, im Osten Ziegel: Vielfalt und Humor sind auffällige Merkmale der neuen Architektur Seouls, vorgestellt im Deutschen Architektur Zentrum

VON FRIEDERIKE MEYER

Beim Gedanken an Megacities rücken sie ins Bild: Saõ Paulo, Schanghai, Mumbai, Tokio – die unendlich schnell wachsenden Metropolen des 21. Jahrhunderts. Dass auch die Hauptstadt von Südkorea pro Tag mehrere hundert neue Einwohner bekommt, dass der Großraum Seoul mit derzeit 23,2 Millionen Menschen zu den am schnellsten wachsenden Regionen der Welt gehört, ist hierzulande noch wenig bekannt. Südkoreas Wirtschaft boomt, dies weiß die Welt seit der Fußballweltmeisterschaft 2002, wie es um seine Kultur bestellt ist, vermittelte die Frankfurter Buchmesse 2005. Vollkommen unbekannt ist hingegen, dass sich in den vergangenen zehn Jahren auch eine lebendige Architektenszene entwickelt hat, die das Wachstum begleitet.

Und so versucht die Ausstellung „Megacities Network“ über Architektur, die wohl die beste materielle Manifestation der jüngsten Entwicklung von Südkorea sei, wie es ihr Kurator Kim Sung Hong sagt, ein Land vorzustellen, das noch vor 50 Jahren zu den ärmsten der Welt gehörte und heute an elfter Stelle der Wirtschaftsnationen steht.

Doch wie können Architekten bei rasendem Tempo und wirtschaftlichem Druck Wachstum gestalten, ohne dass städtische Qualitäten verlorengehen? Wie gelingt es, Räume geschickt aufeinanderzustapeln, damit alles auf geringster Fläche Platz findet? Wie gewinnen sie Freiräume für die Bewohner, wie bewahren sie alte Kultur und schaffen eine neue?

Die Ausstellung, die das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt am Main gemeinsam mit dem Koreanischen Architekturinstitut organisiert und jetzt ins Deutsche Architektur Zentrum Berlin gebracht hat, gibt viele Antworten. Kurator Kim Sung Hong von der Seoul University hat 16 koreanische Architekturbüros eingeladen, jeweils zwei Projekte vorzustellen. Südkoreas Architekten sind keine globalen Stararchitekten – noch nicht. Doch ihre Architektur überrascht. Nicht wegen spektakulärer Bilder oder superlativer Fakten, sondern weil sie mit Experimentierfreude und ohne Berührungsängste ans Werk gehen.

Da gibt es ein Frauenkrankenhaus von Kim Young Joon, bei dem Innen- und Außenräume so kleinteilig und geschickt miteinander verflochten sind, dass der Komplex wie eine mehrgeschossige dörfliche Anlage wirkt. Da forscht Cho Minsuk an neuen Wohntypologien, um die Monotonie übereinandergestapelter Wohneinheiten aufzuheben. Da gibt es Projekte, bei denen traditionelle Bauformen wiederentdeckt und neu interpretiert werden, wie in der Bergarbeiterstadt Cholam.

Abgesehen von den Stadtansichten des Fotografen An Se Kweon, verzichtet die Ausstellung auf die Darstellung eines städtebaulichen Zusammenhangs der Projekte. Sechzehn mit Bildern, Plänen und Texten bedruckte Paravants aus Aluminium stehen nebeneinander im Raum. Sie zeigen im übertragenen Sinne, was asiatische Städte von europäischen unterscheidet: ein unvermitteltes Nebeneinander von Formen und Funktionen, eine unübersichtliche Gleichzeitigkeit des Verschiedenen meist ohne städtebaulichen Zusammenhang.

In Korea, schreibt Peter Cachola Schmal im lesenswerten Begleitbuch, wird die öffentliche Nutzung des Freiraums traditionell nicht als wichtig erachtet. Öffentliche Nutzungen finden in Innenräumen statt. Bauwerke werden isoliert betrachtet. Ihr mögliches Lebensalter, damit auch der Rahmen von Finanzierung und Rendite, misst sich in Zeitspannen von maximal zehn bis fünfzehn Jahren. Ihre Umgebung gilt als vernachlässigbar, weil sie schon in wenigen Jahren verschwunden sein könnte.

Auffällig sind Gebäude mit ganz verschiedenen Nutzungen. Da sieht man ein achtgeschossiges Kirchengebäude mit einem Raum für 3.000 Menschen und Tiefgarage, da ragt ein Gemeindezentrum zehn Geschosse in die Höhe und beherbergt einen Kindergarten, ein Internetcafé und einen Raum mit einem Klavier, das allen zur Verfügung steht.

Die Vielfalt der Projekte gleicht dem Gewusel einer asiatischen Stadt. Sie erschlägt auf den ersten Blick, selbst diejenigen, die es gewöhnt sind, Bilder und Text schnell zu einem Bauwerk zu fügen, durch das sie in Gedanken laufen können. Nach einer Weile jedoch stellt sich Begeisterung ein über den pragmatischen Humor der Architekten. Wie etwa bei einem Verlagsgebäude, bei dem der Bebauungsplan vorschrieb, dass auf jeder Seite des rechteckigen Grundstücks ein anderer Bodenbelag zu verwenden sei. Der Architekt Choi Moongyu hat die unterschiedlichen Materialien einfach in den Fassaden fortgeführt: im Norden Pflanzen, im Osten Beton, im Westen Kiesel und im Osten Ziegel.

Im Deutschen Architektur Zentrum, Köpenicker Str. 48/49, Di.–Fr. 12–19 Uhr, Sa. + So. 14–19 Uhr, bis 17. Juli