: Exoten mit Roben
Selten kommen Migranten in Deutschland so gut an, dass sie hier als Richter wirken – im Namen eines Volkes, in dem sie oft gar keine Wurzeln haben. Wie sich das anfühlt und welche Vorteile das haben kann, zeigen zwei seltene Beispiele aus Stuttgart und Lörrach
Studium: Wer als Berufsrichter in Deutschland arbeiten will, muss ein Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität absolvieren, das mit dem ersten Staatsexamen abgeschlossen wird, und den anschließenden Vorbereitungsdienst, der mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen wird. Die Durchschnittsdauer der Studienzeit beträgt dreieinhalb Jahre, der Vorbereitungsdienst dauert zwei Jahre. Für das Richteramt sind Prädikatsexamen nötig. Zahlen: In Deutschland arbeiten etwa 20.000 Richter, davon sind 34 Prozent weiblich. Da ein Richter deutscher Staatsbürger sein muss, gibt es keinen Überblick darüber, wie viele einen Migrationshintergrund haben. Günter Drange vom Deutschen Richterbund geht allerdings von einer einstelligen Prozentzahl aus. Forderung: Weil die dritte Gewalt keinen Querschnitt der Gesellschaft aufzeigt, verlangt Migrationsforscher Klaus Bade, mehr Richter mit Migrationshintergrund einzustellen. „Wir brauchen nicht immer nur Putzfrauen aus diesem Milieu“, so Bade. CAK
VON CIGDEM AKYOL
Der Richter in Saal zwei des Stuttgarter Sozialgerichts schaut ernst. Während der zwei Verfahren, die er an diesem Tag verhandelt, lächelt er nicht ein einziges Mal. Kein freundliches „Guten Morgen“, kein beruhigender Blick für den Angeklagten, nur ein Blättern in den Akten und konzentrierte Blicke aus seinen braunen Augen. Die erste Sitzung endet schnell: Ein rumänischer Werbemaler klagt für den Erhalt einer vollen Erwerbsminderung. Obwohl der Kläger seit 1973 in Deutschland lebt, spricht er nur bruchstückhaft Deutsch, ein Dolmetscher sitzt neben ihm und übersetzt. Seine Klage wird abgewiesen. Die zweite Verhandlung für diesen Morgen kann nicht beginnen, der Angeklagte ist nicht erschienen, der Termin wird vertagt. Szenen aus dem Gerichtssaal, wie sie täglich tausendfach hierzulande stattfinden. Was diesen Ort aber so anders macht, ist der Richter: Uttam Das, 35, hat einen indischen Migrationshintergrund und ist damit in Deutschland noch immer eine Ausnahmeerscheinung der dritten Gewalt.
Mit fremden Wurzeln
Seit zwei Jahren ist Uttam Das Vorsitzender Richter der 13. Kammer beim Sozialgericht in Stuttgart. Hier muss er regelmäßig den Justizfrieden wiederherstellen, deutsche Gesetze auslegen, den Menschen den Glauben geben, in einem demokratischen Staat zu leben. Uttam Das urteilt über Existenzen, die sich von dem Sozialstaat betrogen fühlen. Er urteilt, wem was aus dem System zusteht. Er hört den Zukunfts- und Sprachlosen zu, obwohl sie seit Jahrzehnten hier leben. In einem Saal, in dem viele der Angeklagten einen Migrationshintergrund haben, spricht einer mit fremden Wurzeln Recht über sie.
Der kräftige Mann mit den akkurat kurz geschnittenen schwarzen Haaren ist ein Exot auf dem Richterstuhl. Er gehört nicht zu einer Minderheit, nicht einmal zu einer Minderheit in der Minderheit. Denn Richter mit Migrationshintergrund gibt es fast gar nicht in Deutschland.
Dabei gibt es über 20.000 Richter in Deutschland. Klar ist jedoch, dass das Amt kein Spiegelbild der hiesigen Gesellschaft sein kann. Kein Abklatsch des bunten Multikulti-Gemischs, welches sonst im Gerichtssaal herrscht, denn etwa 80 Prozent der vor Gericht stehenden Intensivtäter haben einen Migrationshintergrund. Ganz anders schaut es hingegen bei der dritten Gewalt aus: Günter Drange vom Deutschen Richterbund geht von einer einstelligen Prozentzahl unter den Richtern aus, die einen Migrationshintergrund haben.
Ein unabhängiges Amt
Uttam Das ist halb-halb, sein Vater ist ein indischer Einwanderer, die Mutter eine Deutsche. Von seinem Vater hat er seinen dunklen Teint, die dicken, schwarzen Haare und die braunen Augen. Von seiner Mutter die sprichwörtliche deutsche Sorgfalt und den Fleiß.
Wer sein Büro im Zentrum von Stuttgart betritt, findet nichts Persönliches. Ordentlich aufgereihte Bücher und Gesetzestexte, selbst die Notizzettel auf der Pinnwand sind fein säuberlich aufgehängt. Kein Ort, der Gemütlichkeit entstehen lässt, eher ein Raum für nüchterne Rechtsauslegungen. Uttam Das redet am liebsten über seine Arbeit, die Vorzüge einzelner Universitäten und überhaupt gerne über Erfolg und seine Tätigkeit in der Deutsch-Indischen Juristenvereinigung. Über sein Engagement in der CDU will er nicht reden.
Ob er wegen seines Hintergrunds bei Gericht Irritationen spüre? Nein, in seiner Funktion als Richter habe er nie einen Nach- oder Vorteil gespürt. „Ich führe auch keine großen Gespräche“, schiebt Das hinterher. Er macht klar, dass er ein Amt innehat. Unabhängig von seiner Sozialisation, seiner Familie, seinen Emotionen. Beurteilt ein Richter, der zwischen den Kulturen pendelt, einen Angeklagten mit einer ähnlichen Biografie anders? „Sicher, ich bin sensibler, was solche Hintergründe anbelangt“, sagt Das, aber betont dennoch seine Neutralität. Er bemühe sich, keine emotionalen Verhaltensmuster bei seiner Arbeit durchscheinen zu lassen. Uttam heißt übersetzt „der Beste“.
Am Arbeitsgericht in Lörrach entscheidet Ünal Yalcin. Seine Eltern sind aus dem türkischen Karakocan ins beschauliche Esslingen am Neckar ausgewandert. Yalcin selbst fühlt sich als „Deutscher kurdischer Abstammung“ oder, mit einer Portion Lokalpatriotismus, als „kurdischer Schwabe“. Als Exoten betrachtet der 30-Jährige sich nicht, es gebe nur einen kleinen Unterschied zwischen ihm und seinen deutschen Kollegen: „Ich habe besseres Haar, es ist dunkler und dichter“, sagt er und lacht.
Genau wie Uttam Das hat er noch nie Irritationen gespürt, wenn Kläger vor ihm standen. „Meine Autorität als Richter steht in solchen Momenten im Vordergrund“, begründet Yalcin diesen Umstand. Aber er weiß auch, dass es durchaus eine Signalwirkung haben kann, wenn ein Migrant über einen Migranten Recht spricht. Und natürlich sei es auch ein Unterschied, ob jemand noch andere Kulturen als die deutsche kenne. „Ich kann mich gut in Menschen einfühlen, das hat sicher auch mit meinem Migrationshintergrund zu tun“, sagt Yalcin – und schiebt eine kurze Anekdote aus seinem Arbeitsalltag hinterher. Als ein Albaner schwor: „Das stimmt nicht, dafür würde ich mir meine beiden Hände abhacken“, da musste er schmunzeln und seine deutschen Kollegen etwas beruhigen. „Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, dass im südeuropäischen Raum sehr blumig gesprochen wird.“
Vorbild sind die USA
Aus den USA kennt man solche Bilder: indische Fernsehmoderatoren, schwarze Außenministerinnen oder asiatische Richter. In Deutschland sind Migranten in vielen Bereichen immer noch keine ganz alltägliche Erscheinung. Wenn eine iranische Fernsehmoderatorin die Nachrichten liest, wird sie medial durchgekaut. Wenn ein Türke Parteivorsitzender werden will, ist er eine kleine Sensation. Ein Migrant, der deutsches Recht spricht, ist ein Exot. Seltsam, denn wer in die Hörsäle der juristischen Fakultäten schaut, sieht Frauen mit Kopftüchern oder Buddhisten mit Gebetsketten. Wer die Gerichtssäle betrachtet, sieht regelmäßig Migranten als Angeklagte. Wer aber das höchste juristische Amt durchleuchtet, muss suchen – und wird lange brauchen, bis er einen Migranten findet. Auf der obersten Sprosse der juristischen Leiter gibt es kaum interkulturelle Entscheider.
Der soziale Wandel ist noch nicht bis hierher vorgedrungen. Deswegen fordert die deutsch-türkische Anwältin Seyran Ates eine Reformierung der Juristenausbildung in Richtung „interkulturelle Professionalität“. So sollten schon in den Hochschulen die Studenten auf den Umgang mit anderen Lebensformen vorbereiten werden: „Damit bei der Urteilsfindung kulturelle Eigenheiten richtig eingeschätzt werden können“. Warum es so wenige Migranten auf dem Richterstuhl gibt? „Die Position des Richters hat sehr viel mit der Verbundenheit zum Staat zu tun“, begründet Ates und vermutet: Wegen dieses Aspekts würden noch Zweifel existieren, ob ein Migrant sich in einem Loyalitätskonflikt gegenüber dem deutschen System befinden könne. „Das schwingt bei Einstellungen sicher unterschwellig mit“, so Ates.
Brigitte Kamphausen vom Richterbund glaubt, dass die verpflichtende Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit eine emotionale Hürde für den Weg zum Richteramt sei: „Es ist ein Abschied vom eigentlichen Hintergrund und deswegen nicht immer eine einfache Entscheidung“, sagt Kamphausen.
Staatsangehörigkeit? Ausländische Richter? Justizreform? Begriffe, die dem rumänischen Werbemaler, der erfolglos vor dem Stuttgarter Sozialgericht für eine volle Erwerbsminderungsrente geklagt hatte, egal sind.
Dass der Vorsitzende Richter Uttam Das kein Urdeutscher sei, ferne Wurzeln habe, ist ihm natürlich aufgefallen: „Aber das ist mir egal, Hauptsache, er hält sich an das deutsche Recht.“