: Zwang zur Maxi-Schule
Niedersachsens CDU erlaubt Gesamtschulen – wenn sie fünf Züge und 130 Schüler pro Jahrgang haben. Die Gründung auf dem Land wird so erschwert. Einige Landräte erwägen zu klagen, die GEW prognostiziert ein Scheitern des Gesetzes
Das im niedersächsischen Landtag verabschiedete Gesetz zur Gründung neuer Gesamtschulen ist nach Einschätzung von GEW-Landes-Chef Eberhard Brandt juristisch anfechtbar. „Das Gesetz hält kein Jahr“, sagt Brandt. Einige Landkreise wollten gegen das Gesetz klagen, weil es hohe Hürden enthalte, die „nicht sachbezogen“ seien.
Der erbitterte Kampf um die Gesamtschule geht ins fünfte Jahr. 2003 hatte die CDU ein Gründungsverbot verfügt. Seither steigt Jahr für Jahr die Zahl der Schüler, welche die bestehenden 30 Gesamtschulen ablehnen müssen.
2008 hätten die Gesamtschulen einen „Anmeldungsrekord“ verzeichnet, berichtet Brandt. 4.600 Schüler hätten nicht den gewünschten Platz bekommen. Besonders bei Kindern mit Gymnasialempfehlung sei die Schulform beliebt. Viele Eltern wollten, dass ihre Kinder dort in 13 Jahren Abitur machen, um dem „Stress des achtjährigen Gymnasiums“ zu entgehen.
Im Wahlkampf hatte CDU-Ministerpräsident Christian Wulff versprochen, wieder neue Gesamtschulen zu erlauben. Doch das am 1. Juli verabschiedete Gesetz enthält hohe Hürden. So muss eine Integrierte Gesamtschule (IGS) genug Schüler für mindestens fünf Klassen haben. Das sind je nach Klassengröße 130 bis 150 Schüler. In Hamburg muss eine Gesamtschule nur drei Parallelklassen haben, in Schleswig-Holstein braucht eine Gemeinschaftsschule nur 60 Kinder für den Start.
Landrat Walter Theuerkauf vom Kreis Aurich sieht durch die Hürde den Elternwillen blockiert. „Wir haben in der Gemeinde Brookmerland die Eltern der Grundschüler befragt“, sagt Theuerkauf. 80 Prozent seien für die Errichtung einer Gesamtschule gewesen.
Zugleich sinken im Kreis Aurich die Schülerzahlen von zuletzt 160 auf etwa 120 pro Jahr. „Das reicht für eine neue fünfzügige Gesamtschule nicht aus“, sagt der Landrat. Das Beispiel der IGS Aurich-Ost zeige aber, dass auch eine vierzügige Gesamtschule gut arbeiten könne. Die Schule habe bei der Schulinspektion sehr gute Bewertungen bekommen. Sollte das Kultusministerium den Antrag für eine neue IGS im Kreis Aurich wegen zu wenig Zügen ablehnen, müsse man „Rechtswege überlegen“.
Laut Ministeriumssprecher Stefan Mulde soll die geforderte Fünfzügigkeit „Klarheit über die Existenzfähigkeit“ einer Gesamtschule herstellen. Über mögliche Ausnahmen wisse er aus dem Stegreif nichts. „Es ist eine konkrete Voraussetzung, die mit dem Antrag erfüllt sein muss.“
GEW-Chef Brandt glaubt, dass trotz der gesetzlichen Hindernisse „die Gründungswelle rollt“. Es gebe inzwischen 70 Initiativen. „Wir kommen mit dem Zählen kaum noch nach.“ KAIJA KUTTER