: Sterbefeld Deutschland
SELENA COPPA, 25, stammt aus einer armen Familie in New York und ließ sich Anfang 2001 als 17-Jährige rekrutieren, weil sie ihrem Land „dienen“ wollte. Was sie im Irak erlebte, widersprach ihren Vorstellungen von Humanität und Gerechtigkeit so eklatant, dass sie sich nach ihrer Rückkehr in die USA den „Iraq Veterans Against the War“ (IVAW) anschloss und Leiterin eines „GI Outreach Teams“ wurde: An freien Tagen flog sie von einem US-Stützpunkt zum anderen, hielt Reden, klärte GIs über ihre Rechte auf, organisierte Treffpunkte und Zusammenkünfte für KriegsgegnerInnen. Im Frühjahr 2008 beteiligte sie sich an den „Winter Soldiers“-Hearings und gab vor dem US-Kongress eine Zeugenaussage ab. Nach dem historischen Vorbild der „Winter Soldier Investigation“ von 1971 zum Vietnamkrieg berichteten rund 200 VeteranInnen über Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan – von den Mainstream-Medien unbeachtet. Selena Coppa weiß unter anderem deshalb so viel über den Irak, weil sie für IVAW diese Zeugenaussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfte. Kurz danach wurde sie auf eine US-Basis in Wiesbaden versetzt. Offenbar ein Versuch, sie kaltzustellen. USCHE
AUS LANDSTUHL UTE SCHEUB
In Südostasien lagen einst die „Killing Fields“, doch glaubt man Sergeant Selena Coppa, dann gibt es heute in Deutschland „Dying Fields“, Sterbefelder. „Offiziell sind bisher etwa 4.100 GIs im Irak gefallen“, sagt die US-Soldatin. „In Wirklichkeit dürften es ungefähr 25.000 sein.“ Die Statistiken würden manipuliert, unter anderem indem kriegsbedingte Selbstmorde nicht hinzugezählt und Schwerverletzte in Kliniken auf deutschem Boden geflogen würden: „Wenn die Leute in der Luft sterben oder beispielsweise in Landstuhl, dann zählen sie als Todesfälle innerhalb Deutschlands.“ Sie meint das Landstuhl Regional Medical Center, in das seit Beginn des „War on Terror“ mehr als 12.000 US-SoldatInnen eingeliefert wurden. Die Pressestelle des Center war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die junge Soldatin, eine indianisch wirkende Schönheit, sitzt mit ihrer fünfjährigen Tochter auf dem Sofa ihrer kleinen Wohnung in der US-Basis von Wiesbaden. Seit sieben Jahren in der Armee, wurde sie mehrfach für ihre Leistungen ausgezeichnet. Und in der Tat hat sie immer wieder Mut und Tapferkeit bewiesen, allerdings in einem Sinne, der ihren Chefs schließlich gar nicht mehr gefiel: Als Mitglied der „Iraq Veterans Against the War“ (siehe Kasten) kämpft sie gegen den Krieg, wissend, dass sie Repressalien riskiert. „Ich muss es einfach tun“, sagt sie. Sie lächelt, aber ihre Augen blicken traurig. Diese Augen sagen alles: Sie haben Entsetzliches gesehen.
Wenn man sie direkt danach fragt, verweigert sie die Antwort. Es ist ihr gesetzlich verwehrt, darüber Auskunft zu geben, zumal sie einer Abteilung des Militärischen Abwehrdienstes angehört. Im Übrigen, betont sie, vertrete sie nur ihre private Meinung und rede nicht im Namen der Armee. Sie nennt keine Details, keine Einheiten, keine Namen, um keine Vorwände zu liefern, sie zu verhaften oder zu feuern. Sie hält sich betont an die Gesetze, und die besagen, dass sie sich als Privatperson politisch äußern darf, auch gegenüber Medien, solange das in ihrer Freizeit passiert und nicht auf Demonstrationen. „Viele GIs wissen das nicht, kennen ihre Rechte nicht. Aber wenn du aufstehst und offen sprichst, dann machst du anderen Leuten Mut, dasselbe zu tun. Du zeigst ihnen: Sie sind nicht allein.“
Aus ihrem Fenster sieht man auf die Basis. Schmucklose Mehrfamilienhäuser, davor ein paar Grillplätze. Die Shopping Mall bietet alles, damit Soldatenfamilien sich wie zu Hause fühlen: Fähnchenschmuck zum Unabhängigkeitstag. American Food. Daddelhallen. Im Restaurant ein riesiges Bild, das glücklich grinsende Soldaten vor glücklichen Bergen zeigt. Draußen verkauft ein Mann T-Shirts mit dem Aufdruck „I survived Germany“.
Der Spruch klingt angesichts der hier sterbenden GIs makaber. Zudem, berichtet Selena Coppa, bemühe sich die Militärführung, Deutsche als feindselig darzustellen. Schon in den ersten Tagen in Wiesbaden habe man ihr gesagt, Außenkontakte seien gefährlich, weil die Deutschen die Amerikaner nicht mögen würden. „Sie warnten uns auch vor Fußballfans und öffentlichen Ereignissen: Vorsicht, die Leute sind gewalttätig, sie könnten euch verletzen.“ Das aber hält Coppa nicht davon ab, Beziehungen zu knüpfen: „Inzwischen gibt es weltweit keinen Ort mehr, wo die Friedensbewegung nicht ist.“ Wenn ihre Chefs sie erneut in den Irak schicken würden, was möglich sei, dann täten sie ihr sogar einen Gefallen, denn dort gebe es unzählige Mitglieder ihrer Organisation, „und wir könnten Treffen organisieren.“
Die deutsche Regierung unterstütze den Krieg indirekt, sagt Coppa. „Sie verhält sich wie Pontius Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht.“ Deutschland mit all seinen US-Basen und Hospitälern sei das strategisch unverzichtbare Hinterland für den „War on Terror“. Sie habe auch von deutschen Attachés in US-Uniformen gehört, die im Irak seien. Ein Soldat habe deutsch gesprochen und gesagt: „Ich trainiere mit der amerikanischen Armee.“ Ein anderer Militärexperte, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bestätigt die Anwesenheit von Bundeswehrangehörigen im Irak. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums aber dementiert: „Wir haben keine Deutschen im Irak.“
Warum ist trotz der enormen Kriegsmüdigkeit in den USA die Protestbewegung heute weniger breit als während des Vietnamkriegs? Damals habe noch die Wehrpflicht existiert, viele Eltern fürchteten um das Leben ihrer Kinder, erklärt die Soldatin. Inzwischen aber sei das Militär eine Berufsarmee, sodass es viel weniger betroffene Familien gebe. Die BerufssoldatInnen aber werden anscheinend als recycelbares Menschenmaterial benutzt. Die GIs, sagt Selena Coppa, würden drei-, vier-, fünfmal nacheinander zu durchschnittlich elf Monate dauernden Einsätzen in die Kriegsgebiete geschickt, egal wie verrottet ihre Ausrüstung sei, egal wie traumatisiert sie seien: „Die Regierung unterstützt unsere Truppen nicht, im Gegenteil.“ Diejenigen, die die Army verlassen wollten, würden mit trickreichen Vertragsverlängerungen daran gehindert.
Traumatisierung sei ein riesiges Thema. „30 Prozent der Irak-Veteranen sollen unter PTSD leiden“, sagt sie. Das Posttraumatische Belastungsyndrom umschließt Panikattacken, Schlaflosigkeit, Herzrasen, Depressionen und mehr. „Wer PTSD hat, darf nicht dienen“, erläutert Selena Coppa. Deshalb werde es den SoldatInnen sehr schwer gemacht, einen Termin bei einem Arzt zu bekommen, geschweige denn eine Diagnose oder gar Behandlung. Eine der Folgen sei die extrem hohe Zahl von Selbstmorden: „Ungefähr 120 Leute pro Woche begehen Suizid.“ Tatsächlich haben sich nach einer Umfrage des US-Senders CBS allein 2005 mehr als 6.200 KriegsveteranInnen umgebracht – damit übersteigt die Suizidrate die der offiziell Gefallenen.
Die „Iraq Veterans Against the War“ (www.ivaw.org) sind für das US-Militär die wohl gefährlichste Antikriegsorganisation, weil sie ausschließlich aus VeteranInnen und aktiven GIs besteht und innerhalb der Armee operiert. IVAW hat drei Hauptziele: Rückzug der US-Truppen aus dem Irak, Reparationen an das irakische Volk, Unterstützung und Traumabehandlung für KriegsveteranInnen. 2004 gegründet, hat IVAW offiziell mehr als tausend Mitglieder, inoffiziell noch weit mehr: Viele aktive SoldatInnen ziehen es vor, unerkannt den Widerstand innerhalb des Militärs zu organisieren. Diese „innere Front“ wird langsam zu einem echten Problem für die US-Regierung. Aber: „Unsere Soldaten haben es schwer, zusammenzukommen oder deutsche Friedensbewegte zu treffen. Wir brauchen sichere Häuser und Treffpunkte“, sagt Selena Coppa. Veranstaltungen seien wichtig, aber auch Rechtsberatung, Hilfe für Traumatisierte oder Kinderbetreuung für Alleinerziehende wie sie. Und politische Unterstützung: „Es geht darum, eure Regierung unter Druck zu setzen, damit sie ihre indirekte Hilfe für den Krieg einstellt.“ Wer mit ihr auf Englisch Kontakt aufnehmen will: armysergeant@ivaw.org USCHE
Was bedeutet es für die Zukunft der USA, wenn etwa ein Drittel der rund 1,6 Millionen GIs traumatisiert aus Irak und Afghanistan zurückkehrt, also ungefähr eine halbe Million Menschen? Selena Coppa schaut mit traurigen Augen. „Die Leute bekommen keine Hilfe. Manche begehen Verbrechen, töten ihre Frauen, es gab sogar einen Fall in Deutschland.“
Und was ist mit den weiblichen GIs? Nach einer Studie der US-Professorin Helen Benedict wurden seit Beginn des „War on Terror“ von den rund 200.000 Soldatinnen im Kampfgebiet fast drei Viertel sexuell belästigt und beinahe ein Drittel vergewaltigt. „Auch ich kenne viele Fälle“, bestätigt Coppa. Eine Soldatin im Irak sei an Flüssigkeitsmangel gestorben, weil sie sich aus Angst vor einer Vergewaltigung nachts nicht zum Wassertrinken in die Sanitärabteilung getraut habe. Eine andere sei von einer Gruppe Männer vergewaltigt, aber wegen eines angeblichen Alkoholmissbrauchs selbst verurteilt worden. All das werde verheimlicht. Viele Soldaten glaubten, „sie könnten machen, was sie wollen, sie würden eh nicht verurteilt“. Auch das sei „eine Form der Entmenschlichung“ durch den Krieg.
Und was, wenn noch vor den US-Wahlen ein neues Horrorszenario wahr wird? Wenn Israel die iranischen Nuklearanlagen bombardiert, von Iran mit Raketen beschossen wird und die USA daraufhin den Iran attackieren? „Entsetzlich! Nicht auszudenken, was dann passiert! Manche reden ja schon vom Beginn des Dritten Weltkriegs.“