: Geburt in der Fremde
Das Bremerhavener Ausländeramt will eine allein stehende schwangere Frau mit ihren neun Kindern in die Türkei abschieben – und überrascht mit diesem Vorhaben sogar gestandene Asylanwälte
von Eiken Bruhn
Darf man eine allein stehende, im sechsten Monat schwangere Frau mit ihren neun Kindern in ein Land abschieben, in dem sie nach eigenen Angaben seit 20 Jahren nicht mehr war? Man darf nicht nur, man muss sogar, Gesetz ist Gesetz. Dieser Ansicht jedenfalls ist das Bremerhavener Ausländeramt und bekommt dafür die Rückendeckung des Bremer Innensenators. „Eine Schwangere kann ja auch in den Urlaub fliegen“, sagt dessen Sprecher und verweist darauf, dass sie auf dem Flug in die Türkei von einem Arzt begleitet würde.
Allerdings ist bisher nicht die Rede davon, dass dieser ein Fachmann oder eine Fachfrau für Geburtshilfe sein muss – anerkannt hat die Ausländerbehörde nur den vom Gesundheitsamt attestierten schlechten psychischen Zustand der Frau. „Eine Gefahr für Leib und Leben kann nicht mehr ausgeschlossen werden“, attestierten die Amtsärzte, sie habe angekündigt, sich das Leben zu nehmen, wenn sie wirklich abgeschoben wird. Damit sie sich nicht selbst gefährdet, soll sie für den Flug beruhigende Medikamente bekommen sowie gegebenenfalls an Händen und Füßen gefesselt werden. Nicht berücksichtigt ist dabei bisher die Risikoschwangerschaft, die ihr behandelnder Gynäkologe am 19. Juni fest gestellt hat. „Das heißt, dass das Leben von Mutter und / oder Kind gefährdet ist“, übersetzt ihr Anwalt Hans-Eberhard Schultz den Begriff. Er hofft jetzt, dass das Bremer Verwaltungsgericht seinem Eilantrag zustimmt, die Abschiebung zumindest so lange auszusetzen, bis das Kind auf der Welt ist. Und dass die Ausländerbehörde mit dem Vollzug der Abschiebung so lange wartet, bis das Verwaltungsgericht entschieden hat.
Bis zu vier Wochen könne das allerdings noch dauern, sagt ein Sprecher des Gerichts. Man müsse eben genau prüfen, ob Abschiebehindernisse bestehen. „Wenn nicht bei dieser Frau, dann weiß ich’s auch nicht“, sagt der Anwalt, der seit 30 Jahren Menschen vertritt, die abgeschoben werden sollen. „Da gab es viele dramatische Fälle“, sagt Schultz, „aber so etwas habe ich noch nicht erlebt und in Bremen nicht für möglich gehalten.“
Dabei ähnelt der Fall seiner Mandantin einer Reihe von anderen, die in Bremen bereits Gerichte beschäftigt haben. Arabische oder kurdische Frauen, die als Teenager mit ihren Männern nach Deutschland kamen und 15 bis 20 Jahre später ausgewiesen werden sollen, weil die Ehemänner oder Eltern damals angegeben hatten, nicht aus der Türkei, sondern dem Libanon zu stammen – um als Asylant anerkannt zu werden.
Was nach Asylbetrug klingt und vom damaligen Bremer CDU-Innensenator Kuno Böse auch so bewertet wurde, war es in den wenigsten Fällen. Oft handelte es sich um Staatenlose, die weder dem einen noch dem anderen Land angehörten oder um Angehörige von Minderheiten in der Türkei – wie Hayat C., die aus dem Südosten Anatoliens stammt, einer Gegend, in der allein stehende Frauen keine Chance haben, selbständig zu leben, wie immer wieder von Fachleuten bescheinigt wird. Laut ihrem Anwalt spricht Hayat C. nur Arabisch, der größte Teil ihrer Familie soll sich in Deutschland aufhalten.
Dass sie aus dem Libanon stammen, gab damals ihr Mann an, mit dem die 1975 geborene Frau 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war. Ein Jahr später bekam sie mit 15 Jahren ihr erstes Kind, ein Mädchen. Acht weitere folgten, fünf Mädchen und drei Jungen, das jüngste ist jetzt ein Jahr alt. Von ihrem Mann lässt sie sich derzeit scheiden, auch er soll abgeschoben werden. In Begleitung ihrer ältesten Tochter tauchte sie im Juni beim Bremer Flüchtlingsrat auf, „völlig verzweifelt“, sagt Britta Ratsch-Menke von Verein der Ökumenischen Ausländerarbeit Bremen. „Wenn man sie abschieben würde – das wäre eine menschliche Katastrophe.“