piwik no script img

Archiv-Artikel

Alle etwas durchgedreht

Einmal hatte der Raucher das Tempo der Welt negiert, nun half ihm die Zigarette, das Tempo der Welt erträglich zu finden: In der Kabinettausstellung „Total Manoli? – Kein Problem“ im Jüdischen Museum Berlin wird die Zigarette zum Indiz der Moderne

Die Zigarette ist das Urbild des Genusses: Sie ist köstlich und lässt uns unbefriedigt

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Vermutlich war der Rauch, dieses Neben- und Miteinander aus Festem und Gasförmigem, der Aggregatzustand der Moderne: der Rauch der Schornsteine, der wie ein Ausrufezeichen über den Städten hing und die Menschen an die Hochöfen und Fließbänder rief. Und der Rauch der Zigarette, diesem gestenreichen Genussmittel, das immer auch zur Visualisierung der sogenannten Klassenlage taugen sollte. Und mehr noch zu deren symbolischer Überwindung.

Ja, gelegentlich sind beide Rauchsäulen sogar im selben Motiv zusammengekommen. In einem Aschenbecher der Berliner Zigarrenfabrikation Loeser & Wolff beispielsweise. Die skulpturale Keramik zeigt eine großstädtische Häuserzeile, an deren Ende überdimensionierte Zigarren an die Stelle der Fabrikschlote getreten sind. Ein geistreiches Werbemittel, das in den 1920er-Jahren in vielen Hotelbars gestanden haben dürfte.

Überhaupt erzählt die Ausstellung „Total Manoli? – Kein Problem“ im Jüdischen Museum aus einer geistreichen Welt. Zumindest wenn man sich darauf einlässt, den vielen Fährten der kleinen Kabinettausstellung über „jüdische Unternehmer in der deutschen Tabakindustrie“ in Gedanken zu folgen. Blickt man hingegen allzu flüchtig in die Vitrinen im Untergeschoss des Liebeskind-Baus, spiegelt sich bloß ein Wirtschaftszweig in mannigfaltigen Exponaten. Papierverpackungen, Reklameschilder, Sammelbildchen von Fußballidolen, zeitgenössische Fotografien der Tabakfabriken – diese Revue der Memorabilien wird dem Publikum ein wenig zu wohltemperiert präsentiert. Mentalitätsgeschichte, und eine solche ist die Historie des Tabakgenusses wie der Tabakproduktion eben auch, lässt sich nur einerseits als unmittelbare Dinggeschichte schreiben. Diese Dinggeschichte immerhin wird im Jüdischen Museum gleichsam kurios wie kenntnisreich erzählt.

Da ist zum Beispiel diese Leuchtreklame, die für die Ausstellung eigens von einem wirklichen Leuchtreklamenbauer, wenn auch in miniaturisierter Ausgabe, rekonstruiert worden ist: Die Werbung für Manoli, eines der größten jüdischen Tabakhäuser in Deutschland, war ab 1904 die erste phasengesteuerte Leuchtreklame im Berliner Stadtraum. Sie flackerte, sie blinkte. Sie war für viele Zeitgenossen wohl eine ähnlich große Zumutung, wie es heute für gemeinhin vom öffentlichen Rauchen behauptet wird. Kurt Tucholsky jedenfalls ließ sich von ihr zum Gedicht „Total Manoli“ inspirieren: „Ihr seid doch alle, alle, alle etwas durchgedreht.“

Durchdrehen, Bewegung, Beschleunigung, wieder wird die Zigarette zum Indiz der Moderne. Die 1920er-Jahre, dieses im Positiven wie Negativen prototypisch moderne Jahrzehnt, wird zur Blütezeit und zur Abenddämmerung der deutschen Tabakindustrie. In der Weltwirtschaftskrise müssen viele Unternehmer ihre Betriebe verkaufen. Reemtsma heißt der Käufer immer öfter. Und genauso, wie die Zigaretten aus den seidebehandschuhten Fingerspitzen bourgeoiser Bubiköpfe in die Arbeiterhände des Industrieproletariats übergegangen waren, war aus einem Moment des distinktionsreich ausgestellten Müßiggangs der hastige Genuss im Takt der Maschinen geworden. Einmal hatte der Raucher das Tempo der Welt negiert, nun half ihm die Zigarette, das Tempo der Welt erträglich zu finden.

Unerträglich war, was kommen sollte. Die wenigen jüdischen Tabakhäuser, die die Weltwirtschaftskrise überstanden hatten, wurden arisiert. Verraucht war längst auch die widerspenstige Geschlechterpolitik der Tabakwerbung – wenngleich diese auch vor allem dem Begehren geschuldet war, Frauen als Kundinnen zu gewinnen.

„Die Zigarette ist das vollendete Urbild des Genusses: Sie ist köstlich und lässt uns unbefriedigt“, wird es Oscar Wilde in den Mund gelegt. Vielleicht mag dieser Satz, gleich neben der „Manoli“-Reklame, auch über dieser Ausstellung blinken.

„Total Manoli?“, Jüdisches Museum, Lindenstr. 9–14 , Mo. 10–22 Uhr, Di.–So. 10–20 Uhr, bis 19. Januar 2009