KUNSTRUNDGANG : Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien in Berlin um
Da hat sie zweifellose recht, die Frau Ungerer von der Galerie elm75 in der Neuköllner Weserstraße 164: „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.“ Was mich mehr verblüffte, ihre schnoddrige Ansage oder ihr goldbestäubter Busen – ist das neuerdings schick? –, weiß ich nicht. Jedenfalls, Presse hin, oder wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Und weil auf dem Flyer „Vernissage 19 Uhr“ zu lesen stand, zog ich um 18 Uhr unverrichteter Dinge wieder ab.
In Mitte geht es glücklicherweise professionell zu. Besser also das kreative Leben in Berlin auf Fotos gebannt in der Pool Gallery zu betrachten, als ihm im realen Leben zu begegnen. Alex Flach aka Foley stellt unter dem – den Clash abgekupferten Titel – „Berlin Calling“ Aufnahmen aus den letzten zwölf Jahren vor. Flach hat von der ersten Nummer an seine Fotos im Lodown Magazin veröffentlicht, das neue Akzente in Sachen Fotolayout, Grafik, Druck und Berichterstattung setzte. Und zwar nicht nur beim Thema Skateboarden, sondern auch Musik, etwa D&B. Die Creative industries sehen bei Flach erwartbar rough aus, aber dazwischen gelingen ihm wunderbare Porträts, von einem Kiddie-Skater zum Beispiel oder einem Party-Burschen, nachts zwischen den Stelen des Holocaust-Denkmals.
Und die Galerie September, die macht auch am Montag auf. Obwohl zu lesen steht, dass da zu ist. Ursula Döbereiner hat fünf Cluster von 3-D-Zeichungen an die Wand tapeziert, während der Pariser Künstler Bertrand Lamarche dahinter „La Réplique“ zeigt, eine Lichtinstallation, die mal minimal, mal sprunghaft ihre Form verändert. Beides fügt sich zu einem zauberhaften halluzinogenen, kinetischen Modernismustrip: das Licht, das wie ein menschlicher tanzender Körper auftritt, und die Wörter und Architekturmodule, die Döbereiner im Raum schweben lässt und an die man beim nächsten Schritt anzustoßen glaubt.
Alex Falch: „Berlin Calling“, bis 9. August, Mo.–Fr. 12–20, Sa. 12–18 Uhr, Pool Gallery, Tucholskystr. 3 Ursula Döbereiner/Bertrand Lamarche: „Daughters of Time“, bis 9. August, Di.–Fr. 11–19, Sa. 11–18 Uhr, Galerie September, Charlottenstr. 1