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Archiv-Artikel

Heilung per Eilkurier

Regisseur Verhoeven entwirrt eine Seele – im Krimi „Bloch: Vergeben, nicht vergessen“ (20.15 Uhr, ARD)

Die Apokalypse folgt einem strengen Zeitplan: „Das Ende kommt morgen um halb zehn, sie haben es im Radio gesagt.“ Sabine Doran (Birge Schade), gut situierte Apothekersfrau mit solidem Bibelwissen, hat klare Vorstellungen vom Untergang. „Hagel und Feuer kommen übers Land, sie sind mit Blut gemischt“, prophezeit sie. „Und ein großer brennender Berg wird ins Meer geworfen. Rauch wird aufsteigen und die Erde verfinstern.“ Das klingt sehr nach der Offenbarung des Johannes. Angst hat die Apothekersfrau aber nicht: „Ich bin vorbereitet. Denn sie kommen und bringen mich zu Paul.“

Paul ist der Sohn, der vier Tage nach der Geburt gestorben ist – erstickt von der Mutter. Eine postpartale Anpassungsreaktion, eine aus Überforderung resultierende psychotische Erkrankung, hat die Frau in den religiösen Wahn getrieben. Die Diagnose ist schnell erstellt, das Verstehen dauert. Vor allem beim Ehemann (Rainer Sellien), der seiner Frau nur noch Hass und Ekel entgegenbringen kann: Wie liebt man eine Mörderin? Die Mörderin seines Kindes?

Unhysterisch wird in der neuen „Bloch“-Episode das Ungeheuerliche angegangen. Das Thema Kindstötung, das Medien und Gemüter über die letzten Monate so aufwühlte, greift man hier ohne Seifenoperempörung und Schichtenpolemik auf. Nicht im Plattenbau geschieht das Unbegreifliche, sondern inmitten arrivierter Bürgerlichkeit.

Sieben Jahre lang hatte das Ehepaar auf das Wunschkind gewartet; als es dann da war, kollidierten die Bedürfnisse der Mutter mit den selbst gesetzten Pflichten. Bloch (Dieter Pfaff) versucht nun die fatale Kettenreaktion zu rekonstruieren – auch um eine juristische Frage zu klären: War die Mutter schon vor der Tötung psychotisch oder erst danach, quasi als Schock auf die eigene Tat? Dies hat zentrale Bedeutung für die Schuldfähigkeit, die darüber entscheidet, ob die Frau in die Therapie oder in den Strafvollzug gehört.

Regisseur Michael Verhoeven, der 1970 mit seinem Anti-Vietnam-Film „O.K.“ einen Skandal auf der Berlinale verursachte, zehn Jahre später das Widerstandsopus „Die weiße Rose“ drehte und gerade seinen 70. feierte, legt mit diesem Psychodrama einen geradezu humanistisch getriebenen Film vor. Nicht die Strafe, sondern das Verstehen steht im Vordergrund.

Wie in der vorletzten „Bloch“-Folge „Der Kinderfreund“, in der es um einen Pädophilen ging, wird auch in „Vergeben, nicht vergessen“ (Buch: Regine Bielefeldt) das komplexe Konditionierungsgeflecht einer potenziell gewalttätigen Seele entwirrt. Und wieder gesteht man jener Person, die zum Abscheulichsten fähig ist, das Recht auf Trost und Geborgenheit zu. Atheist Bloch etwa bewegt hier einen Geistlichen dazu, die Kindstöterin zu ihrem Glauben zurückzuführen, auf dass dieser ihr helfe, nicht unter der Last ihrer Schuld zusammenzubrechen. Sehr gut, sehr richtig ist das.

Schade nur, dass die Rettungsaktion im 90-Minuten-Format arg geschwind daherkommt: Wie das Paar wenige Wochen nach der Gewalttat melancholisch durch den Park flaniert, läuft der analytischen Schärfe der Reihe doch zuwider. Sagen wir mal so: Es riecht ein bisschen streng nach Wunderheilung.

CHRISTIAN BUSS