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Archiv-Artikel

wir lassen sichten Don Quichotte auf dem Drahtesel

In Frankreich radeln die Profis, im Kino strampelt der wohl beste Staatsamateur aller Zeiten: der tragische „Sportsfreund Lötzsch“

Schmallippig blickt der Mann in die Kamera. Dann sagt er: „Wegen der Mauer ist mein ganzes Leben ruiniert worden.“ Es ist der einzige Moment, in dem Wolfgang Lötzsch sie endlich einmal herauslässt, all die Verbitterung, die Verzweiflung und die Einsamkeit. Und davon ist viel verborgen in diesem Mann, den Sascha Hilpert und Sandra Prechtel in „Sportsfreund Lötzsch“ porträtieren, einem Film, der heute in den deutschen Kinos anläuft.

Wolfgang Lötzsch war ein Radsporttalent. Vielleicht das größte, das die DDR je besaß. In der Jugend hängte er die Konkurrenz problemlos ab, die Olympiateilnahme in München 1972 stand eigentlich fest. Doch dann wurde Lötzsch ideologisch überprüft. Und da kam ihm ein in den Westen abgehauener Cousin in die Quere und vor allem das, was ihn auf dem Rad auszeichnete: sein unbeugsamer Wille. Lötzsch weigerte sich, den Funktionären nach dem Mund zu reden oder gar in die Partei einzutreten. Die schmissen ihn daraufhin aus seinem Leistungssport-Klub. Aber selbst als Mitglied einer Betriebssportgruppe, ohne professionelle Ausrüstung und medizinische Versorgung, schlug er bei den wenigen offenen Rennen die Kaderfahrer der DDR. Genau jene, die bei Olympia und Weltmeisterschaften die Medaillen für den Arbeiter-und-Bauern-Staat im Dutzend sammelten.

Lötzsch kämpfte weiter gegen Windmühlen, ein Don Quichotte auf dem Drahtesel. Immer in der Hoffnung, dass die sportliche Leitung nicht an ihm vorbeikäme, wenn er besser fährt als die geförderten Pedaleure. Es ist kein politischer Kampf, aber er wird zum Politikum, weil Lötzsch das Sportsystem der DDR blamiert. Zum Problem für das Regime wird Lötzsch spätestens, als eine kleine Fangruppe beginnt, ihn als Widerständler zu feiern. Längst hat die Staatssicherheit Inoffizielle Mitarbeiter auf ihn angesetzt. Über 50 werden es am Ende gewesen sein, die Stasi-Akte wächst auf mehr als 2.000 Seiten. Schließlich spinnt die Staatssicherheit eine Intrige, lockt ihn in eine Falle und steckt ihn wegen versuchter Republikflucht in den Knast.

Es ist eine tragische Geschichte von geradezu klassischen Dimensionen, die Geschichte von Wolfgang Lötzsch, dem Mann, der immer nur Fahrrad fahren wollte und damit eher ungewollt einen Staat herausforderte. Doch die Filmemacher scheitern bisweilen an der knorrigen Verweigerungshaltung ihres Protagonisten. Der will eigentlich nicht reden, schon gar nicht über sich. Also filmen sie ihn beim Rasenmähen oder beim Autowaschen, sprechen mit ehemaligen Trainern und Stasi-Offizieren, lassen Aktennotizen und IM-Berichte aus dem Off verlesen. Doch dabei kratzen sie oft nur an der Oberfläche.

Trotzdem liefert der Film meist eine Innensicht. Zu Wort kommt außer Lötzsch und seinen Exfrauen, Vertrauten und Trainern nur ein Stasi-Offizier. Man hätte gern gehört, was die Konkurrenten von einst, ein Uwe Ampler oder ein Olaf Ludwig, heute zu sagen hätten, oder auch Westprofi Rudi Altig, der Lötzsch nach der Wende seinen ersten Job als Bundesliga-Fahrer besorgte.

Zu konzentriert auf das Innenleben des Helden bleibt manches im Ungewissen, mancher Hintergrund unerwähnt, der für das Verständnis dieser Geschichte unerlässlich wäre. Vor allem die sinnstiftende Rolle des Radsports in der DDR: dass die Rennfahrer nicht nur Sportler waren, sondern Botschafter im Sattel, die eben nicht bei der Tour de France starteten, sondern den sozialistischen Gegenentwurf „Friedensfahrt“ ausfuhren. „Sportsfreund Lötzsch“ verschenkt einen Gutteil der zeitgeschichtlichen Dimension seines Gegenstands.

So sind es, weil der Held meist nur durch beredtes Schweigen glänzt, die Bilder, die seine Geschichte erzählen müssen. Und die sind beeindruckend: vor allem die alten Dokumentaraufnahmen aus den Siebzigerjahren. Auf denen ist Lötzsch zu sehen, wie er nach seinen Siegen strahlt, ein wilder, freier Geist, fast manisch, unbesiegbar und voller Leben. Dieser Wolfgang Lötzsch, das arbeitet „Sportsfreund Lötzsch“ mit Akribie heraus, ist erloschen, gebrochen von einem System, das so viel Lebenslust, so viel Leidenschaft nicht tolerieren wollte. Wenn Lötzsch die alten, verstaubten Trophäen präsentiert und freudlos über den pekuniären Wert hässlicher Kristallglasvasen spekuliert, dann endlich ist zu sehen, wie die große Politik ein kleines Leben zerstören kann.

Heute ist Lötzsch 55 Jahre alt. Bis Anfang des Jahres, als seine Stelle Sparmaßnahmen zum Opfer fiel, arbeitete er als Mechaniker bei einem Profi-Team. Dort war er dem Sport, dem er alles zu verdanken hat, alles Gute und alles Schlechte, immer noch nah. Wirklich glücklich aber, davon erzählt „Sportsfreund Lötzsch“, scheint ihn dieser Sport niemals gemacht zu haben.

THOMAS WINKLER