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Kuhglocken in der Nacht

Vor dem Beat sind alle Körper gleich: Die New Yorker Disco-Sensation Hercules & Love Affair brachte die Zuschauer bei ihrem Berliner Konzertdebüt im Lido mit Powerplay und coolem Gestus zum Tanzen

VON TIM CASPAR BOEHME

Nein, Antony Hegarty war nicht anwesend. Auch wenn mancher insgeheim gehofft hatte, dass es vielleicht noch einen Überraschungsauftritt des Sängers der Band Antony and the Johnsons geben würde. Seine New Yorker Freunde von Hercules & Love Affair kamen bei ihrem ersten Berliner Auftritt am Donnerstag aber auch ohne Hegartys stimmliche Unterstützung klar und inszenierten ihr Konzert als große Disco-Party.

Über zwei Stunden lang hatte sich die Spannung gesteigert, bis sich die Gruppe endlich ihren Fans zeigte. Überall schoben, drängten und schubsten Leute einander durch den kleinen Laden, blieben ein bisschen vor der Bühne stehen, um sich von den Ladytron-DJs einstimmen zu lassen, oder traten sich in der Raucherzone gegenseitig auf die Füße.

Eigentlich ist es seltsam, eine Band wie Hercules & Love Affair auf einer eher bescheidenen Bühne wie dem Lido spielen zu lassen, denn ihr Debütalbum, vom erfolgsgespürgeprüften Label DFA veröffentlicht, war eine der Popsensationen des Frühlings. Die Musik des Bandkomponisten Andrew Butler funktioniert nicht nur bestens als subtile Hommage an die letzten Tage von Disco, sondern erwies sich auch als mainstreamtauglich, besonders durch den Charterfolg der von Antony gesungenen Single „Blind“. Ein größerer Ort für das Konzert wäre daher nicht unpassend gewesen.

Doch die Macher der Mobile Session von Sony Ericsson, die den Abend als Auftakt zur Berliner Fashion Week veranstalteten, müssen sich bewusst entschieden haben, das Publikum lieber dicht an dicht gedrängt als zu luftig zu platzieren. Denn so gab es gar keine Möglichkeit, sich irgendwo am Rand abzusondern, um gelassen das Geschehen zu beobachten. Wer dabei war, war mittendrin, musste schwitzen und feiern.

Die Feier war das große Versprechen des Abends, und Hercules & Love Affair lösten es großzügig ein. Zunächst kamen sie ganz unglamourös, fast unsicher auf die Bühne, brauchten dann aber nur einen Song, um sich auf ihr Publikum und die ziemlich grauenhafte Akustik des Lido einzustimmen. Als Liveband stehen sie zu neunt auf der Bühne und zelebrieren ihre Musik als durchgehenden Mix. Das Schlagzeug hält den Disco-Groove konstant, die einzelnen Stücke werden nahtlos aneinandergereiht. Analog-Synthesizer, ein Bass mit jeder Menge Schubkraft sowie präzise Bläserakzente sind die übrigen Klangbeigaben. Die Wirkung ließ nicht lang auf sich warten. Beim dritten Song des Sets, „Blind“, flogen Hände hoch, kein Körper im Raum blieb mehr still.

Hercules & Love Affair bieten ihrem Publikum aber mehr als nur Party. Die beiden Sängerinnen Kim Ann Foxman und Nomi bilden ein queeres Paar, wie es gegensätzlicher nicht sein könnte.

Auf der einen Seite der ultrafeminine Transvestit Nomi mit langem Haar und Lametta-Fummel, auf der anderen Seite die Hardcore-Lesbe Foxman mit rasierten Schläfen und schwarzem Träger-Shirt. Von dieser Spannung lebt die Bühnenshow. Auch ihre beiden Stimmen ergänzen sich großartig. Nomis schlüpfriges Crooning passt perfekt zu Sehnsuchtsnummern wie der aktuellen Single „You Belong“. „Blind“ singt sie mindestens so gut wie Antony. Foxmans Stimme klingt schärfer, kindlicher. In „Athene“ intoniert sie den Namen der Göttin mit schnippischer Rotzigkeit, wie um jeglichen Anflug von Transzendenz zu untergraben. Singen beide zusammen, klingt die Kombination völlig selbstverständlich.

Besonders Nomi gibt beim Konzert alles. Sie posiert als Disco-Diva, kann aber auch schon mal enthemmt auf der Bühne herumspringen. Foxmans Bewegungen sind eckiger, betonen dafür die Differenzen zwischen den beiden umso deutlicher. Ihre Körper sind mehr Statement als Show. Disco ist bei Hercules & Love Affair denn auch kein ausschließlich schwules Phänomen, sondern Gender-Angelegenheit durch und durch.

Im Publikum mischten sich lesbische, schwule und heterosexuelle Fans, ohne dass irgendjemand dieses Konzert für sich zu beanspruchen schien. Vor dem Beat sind schließlich alle Körper gleich. Jeder kämpfte tapfer um nichts weiter als das eigene Fleckchen Tanzboden. Die gemeinsame Euphorie kam wie von selbst und blieb bis zum Ende, allem Gedrängel zum Trotz.

Für große Freude sorgte ein Überraschungsgast aus Berlin: Der amerikanische House-Produzent Daniel Wang, seit den Neunzigern als unermüdlicher Disco-Erneuerer unterwegs, verstärkte die Band in der zweiten Hälfte des Auftritts an der Kuhglocke. Wang, der für das New Yorker Label Environ produziert, lebt mittlerweile in der deutschen Hauptstadt. Man konnte Andrew Butler die Freude über den Bühnenbesuch anmerken, als er Wang dem Publikum vorstellte, das ihn genauso herzlich wie die Sängerinnen begrüßte.

Das Ende kam dann recht schnell. Nach nur fünfzig Minuten verabschiedeten sich Hercules & Love Affair mit ihrer Hymne „Hercules Theme“ als Zugabe und Höhepunkt. Dann war die Party vorbei. Enttäuschung war im Publikum aber keine zu spüren, alles wirkte leicht und gelöst. Für rund eine Stunde war Disco ganz und gar Gegenwart. Sie hätte auch ewig dauern können.

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