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Archiv-Artikel

Von Hohenschönhausen nach Peking

Anja Hitzler wird Deutschlands einzige Bogenschützin bei den Olympischen Spielen im August in Peking sein. Zwar ist sie keine Medaillenkandidatin, ihrem Optimismus tut dies aber keinen Abbruch. Beobachtungen vom letzten Trainingslager in Berlin

Das Training: 300-mal täglich die Sehne spannen – bei 17 Kilo Zuggewicht

VON JOHANNES KOPP

„Anja wird hier ein Abschiedsfest feiern. Happy Olympia sozusagen“, erklärt Martin Frederick, der Bundestrainer der Recurve-Bogenschützen. Gerade hat er mit seiner einzigen Olympionikin, Anja Hitzler, das Becken des alten Schwimmbads im Sportforum Hohenschönhausen durchschritten.

Das Bassin hier dient den Bogenschützen seit Längerem schon als Trainingsstätte. Und auf dem Beckengrund beratschlagen die beiden über den rechten Standort des Büfetts und allerlei andere organisatorische Partyfragen. Der viermalige DDR-Meister im Recurve-Bogenschießen und die 25-Jährige aus dem schwäbischen Welzheim, die seit 2006 in Berlin trainiert, entstammen sehr unterschiedlichen Welten. Doch Trainer und Athletin scheinen bestens zu harmonieren. Das mit jeweils sehr soften Stimmen geführte Gespräch wirkt sehr vertraut.

Eigentlich ist laut Wochenplan an diesem Samstagmittag ein Training angesetzt. Aber in der Aufwärmphase, während Hitzler die Arme kreisen lässt, kann man auch nebenbei anderes klären. Die Zeit drängt nämlich. Bis vor Kurzem war noch gar nicht abzusehen, dass Anja Hitzler überhaupt zu den Olympischen Spielen nach Peking fährt. Die Sportsoldatin nutzte erst ihre allerletzte Chance, das Qualifikationsturnier am 24. Juni im französischen Boe Agen.

Das Erreichen des Halbfinals war hierbei Pflicht, Hitzler gewann sogar das Finale und erwies sich als unglaublich nervenstark. In der Runde der letzten sechzehn, im Duell gegen eine Kroatin, brachte sie nach einem Gleichstand auch im Stechen nichts mehr aus der Ruhe. Nun wird sie als einzige Deutsche ihre Sportart in Peking vertreten. Im Jahre 2004 bei Hitzlers ersten Olympischen Spielen in Athen reiste sie noch mit der Mannschaft an.

„Als ich für Peking qualifiziert war, konnte ich es kaum glauben. Ich stand völlig neben mir. Es war so ergreifend“, berichtet Hitzler. „Und dann die Tränen“, fügt sie mit erhobenen Händen hinzu. Allein die Erinnerung daran scheint sie noch zu überwältigen. Sie hatte sich zuvor schon etwas ausgerechnet, jedoch räumte sie ihren beiden deutschen Mannschaftskolleginnen Lisa Unruh und Karina Winter gleich große Chancen ein. Bundestrainer Frederick bestätigt diese Einschätzung. Er verfügt über ein ausgeglichenes Team. Aber in Frankreich gab es pro Land nur noch einen Olympia-Platz zu vergeben. Was Hitzler den anderen voraushat? „Sie ist vielleicht einen Tick ausgeglichener, und sie kann Negatives besser von sich wegschieben“, erklärt Frederick.

Anja Hitzler sagt: „Bogenschießen ist Intuition. Man darf nicht nachdenken.“ Schon die kleinste Abweichung im Bewegungsablauf der Bogenschützen lenkt den Pfeil weit vom Ziel ab. Viele kleine Bewegungen, etwa die des Ellenbogens, der Schulter, der Finger müssen optimal koordiniert werden.

Laut einer amerikanischen Studie ist das Bogenschießen nach dem Golfsport die komplexeste Sportart. In den Profiwettbewerben fehlt den Besten, meistens sind es die Koreanerinnen, nur wenig zur absoluten Perfektion.

Bei Hitzler fällt der Abstand bis dahin zuweilen recht groß aus. „Bei mir ist schon einiges in die Hosen gegangen“, bekennt sie. „Ich bin keine Medaillenkandidatin.“ Bei den Weltmeisterschaften 2007 im eigenen Land in Leipzig konnte sie dem öffentlichen Erwartungsdruck nicht standhalten. Sie blieb weit hinter ihrem Leistungsvermögen zurück.

Solche Negativerlebnisse würde sie heute nicht mehr belasten, sagt Hitzler. Das sei abgehakt. Und auf die Frage, ob ihr Abschneiden in Peking und das des einzigen männlichen deutschen Bogenschützen, Jens Pieper, eventuell künftig die finanzielle Förderung ihrer Sportart durch den Deutschen Olympischen Sportbund beeinflussen könnte, reagiert sie ebenfalls unbekümmert. „Das ist Politik“, wehrt sie ab. „Das interessiert mich nicht.“

Hitzler freut sich in erster Linie getreu dem olympischen Motto: Dabei sein ist alles. Nachdem dies klar war, erzählt sie, habe sie sich im Internet sofort ein Armband mit der Aufschrift „Sports for Human Rights“ bestellt. Das hätte sie an sich auch vorher tun können. Das blau-grüne Silikonbändchen, das sie seitdem an ihrem linken Arm trägt, scheint bei Hitzler nicht nur den politischen Protest gegen Chinas Tibetpolitik zum Ausdruck zu bringen. Es übermittelt ebenso die Botschaft, dass sie nun doch dazugehört – zum deutschen Olympiateam für die Peking-Spiele.

Sportliche Ziele formuliert sie aber auch: Sie möchte besser abschneiden als in Athen, wo sie den 21. Platz belegte. Bis dahin wird Anja Hitzler wie stets bis zu 300-mal täglich die Sehne spannen – mit jeweils etwa 17 Kilogramm Zuggewicht. Die Perfektion dabei zumindest immer vor dem inneren Auge.