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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Besser ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode, sagte Kant zur Fashion Week

„Wenn die nicht zur Seite gehen, gib ihnen gleich was auf die Fresse!“ Mit einer solchen Haltung haben die streetwisen Mädels beim Wedding Dress #3, dem „großen Festival of Urban Fashion and Lifestyle“, den Modemenschen vom schnieken Bebelplatz einiges an Ehrlichkeit voraus. Und sie sprechen einen Jargon, den auch die Grande Dame der englischen Mode und des Punks, Vivienne Westwood, verstehen würde. Auf ihr lasten während der Modewoche alle Hoffnungen.

Unser Motto für die letzten Tage ist milder ausgefallen. Wir schreiten die Fashion Week mit einem zementierten Lächeln und dem Slogan „Don’t hate, appreciate“ ab. Die Designer von Basso&Brooke sind mit ihrem Mix aus barocker Opulenz und Comicästhetik leicht als Gewinner auszumachen. In der Mercedes-Lounge stellen sie mir ihre Muse vor, die ihr Magazin, die New-Rave-Fibel „Super Super“ und Smiley-Aufkleber verteilt. Ich klebe den Smiley gleich an die Stirn und denke: Einmal zwei Stunden nichts trinken ersetzt den Schlaf und die Dusche. Essen, hat Jan beschlossen, finden wir ordinär. Und wenn man dann doch leicht katerig wird, schnell wieder ein Piccolöchen trinken.

Dann versteht man auch, dass die Designerinnen von c.neeon totale Sonntagsmädchen sind. Nicht nur heißt ihre vor dem Kunstgewerbemuseum präsentierte Kollektion „sunday taste“. Ihr Mut, die Show unter freiem Himmel stattfinden zu lassen, wird vollends belohnt. Während die front und second row auf Bierbänken Platz nimmt, reißt genau mit Beginn der Show der Himmel auf, und der Regen wartet exakt so lange, bis die Models wieder verschwunden sind. Die exzentrischsten Präsentationsorte fand derweil thelabelfinder.com, die neue Internetseite von Partymacher Cookie: Man wurde mit einer Limousine auf das Dach eines achtstöckigen Parkhauses gefahren.

Hauptattraktion bleibt aber das große Padberg-Zelt am Bebelplatz, das direkt über das „Gedenkdings“ gebaut ist, wie das angestellte Fräulein erklärt, die aufpasst, dass die Touristen trotz Fashionglanz noch das Mahnmal zur Bücherverbrennung schauen können.

Im Inneren treffen Durchhalteparolen der Moderatorinnen die Ratlosigkeit von Promi-Fotografen. „Wer ist die denn jetzt, die Sie hier fotografieren?“ – „Keine Ahnung.“ – „Wen haben Sie denn heute schon Berühmtes fotografiert?“ – „Hmm, Kim Cattrall von ‚Sex and the City‘ soll vielleicht noch kommen.“ Für den Taumel ephemerer Modeschöpfungen hat der ernste Berliner an sich eben wenig übrig. Aber wer hat das denn schon? Man muss es trotzdem mit Kant halten: „Besser ist es, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu sein.“

So feiern gleich zwei neue Modeläden Eröffnung. 14 oz mit eindrucksvollem Interieur aus einem alten Pariser Couture-Haus und No. 74, die sich durch eine Zusammenarbeit mit dem o32c-Magazin und dem Live-Act Apparat hervortun. Dazwischen nehmen wir an der Demo gegen den Nazimodeladen „Tønsberg“ teil. Hutmacherin Rike Feuerstein hat mit einigen Nachbarn der Rosa-Luxemburg-Straße die Verlegung von sieben „Stolpersteinen“ initiiert, die genau neben den Laden gelegt werden.

Wie aber kann man vor sich selbst rechtfertigen, die Einladung zur feierlichen Emeritierung des großen Medientheoretikers Friedrich Kittler im kleinen Kreis und die gleichzeitig stattfindende glamouröseste Veranstaltung der Woche, die Gala der Elle Fashion Stars, ausgeschlagen zu haben? Es gibt eben doch Momente der Kapitulation. Um mich trotzdem wichtig zu fühlen, zerknittere ich die Gucci-Hose im eigenen Bett, höre My Bloody Valentine und lese das Manifest für den Affirmationismus.

Warum der Maler Tim Eitel am nächsten Abend in die falsche Richtung läuft, bleibt allerdings ein Rätsel. Immerhin schauen die Menschen auf seinen Bildern nicht selten genauso verloren in der Gegend herum wie bei seinem Kollegen David Hockney. Wahrscheinlich kannte er den vom Institut am Glaspavillon gezeigten Film über Hockney schon, in dem es vor allem darum geht, wie ein nackter Jüngling wiederholt in einen Pool springt. Auch spielen die neoromantischen Kleider des englischen Designers Ossie Clark eine Rolle. Eine Zeitung gerät ins Bild, man liest: „Paris says oui to Ossie.“ Kurz zuvor sagte Berlin noch yes zu Vivienne. Sie trug bei ihrem großen Auftritt ein schwarzes Schweißband um ihr orangefarbenes Haar. Drauf stand: Chaos. TIMO FELDHAUS