: berliner szenen Finderlohn
Mindestens 150 Dollar
„Kommen Sie rein, nein, lassen Sie die Tür bitte auf, ich komme mir sonst so eingesperrt vor“, sagt die freundliche Polizistin und nimmt den Diebstahl meines Portemonnaies auf. Gemeinsam hoffen wir, dass zumindest die Papiere wiederauftauchen. Abends dann klingelt es tatsächlich an der Tür. „Hallo, wir möchten Herrn Nickels sprechen“, quäkt es aus der Gegensprechanlage. Vor der Haustür begrüßen mich ein älterer Mann in schwarzem Mantel und sein jüngerer und breitschultrigerer Begleiter.
„Vermissen sie Ihr Portemonnaie?“ Ich nicke. Sonst ist kein Mensch auf der Straße. „Haben wir gesehen, wie jemand in den Mülleimer geworfen hat. Können Sie kucken, bis auf das Geld ist noch alles drin!“ Das freut mich natürlich, auch wenn mich die Formulierung etwas irritiert. „Wir haben reinkucken müssen, um zu sehen, wo sie wohnen“, beeilt sich der Jüngere. Und es sei ja teurer, die ganzen Papiere wiederzubeschaffen, „mindestens 150 Dollar“, wie es denn mit Finderlohn aussehe. Ich greife in die Hosentasche und biete den Rest meiner Barschaft an. Lachend wehren sie die 2,56 Euro ab. Mein Angebot, dass ich mich ja später erkenntlich zeigen könnte, wenn sie mir ihre Visitenkarte geben, wird völlig ignoriert. Schließlich greift sich der ältere Mann ans Herz und erklärt: „Ich komme aus andere Land, aber alle Menschen gleich, und wenn Sie glücklich, dann ich auch glücklich.“ Wir schütteln uns zum Abschied die Hände, und nach diesem Fanal der Völkerverständigung stecke ich mein Portemonnaie ein und blicke ihnen nach, bis sie um die Ecke biegen. Zufälle gibt es, denke ich noch. Da spricht der ehrliche Finder von Dollar statt von Euro. Und bis vor Kurzem habe ich auch zwei Dollarnoten in meinem Portemonnaie spazieren getragen. STEFAN NICKELS