: Das kam aber überraschend
Im Fall der verwahrlosten Mädchen in Gröpelingen verließ sich das Jugendamt auf Schule und Kindergarten. Vielleicht zu sehr. Denn wie es bei ihnen zu Hause aussah, wussten die nicht
von Felix Zimmermann
Nach gut zwei Stunden war es Klaus Möhle, Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen, der mahnte, dass für Hysterie kein Platz sei. Dass der Fall der beiden Mitte Juli in Gröpelingen im Zustand fortgeschrittener Verwahrlosung aufgefundenen Mädchen kein zweiter Fall Kevin sei. Kevin sei tot im Kühlschrank gefunden worden, bis es dazu kam, wurden an diversen Stellen Fehler gemacht. Aber bei den beiden Mädchen habe die Kommunikation funktioniert, und es sei gehandelt worden, sagte Möhle.
Möhle hatte um „Sachaufklärung“ gebeten, wie es dazu kommen konnte, dass die beiden Mädchen in der Post-Kevin-Zeit in einem so schlechten Zustand aufgefunden wurden, obwohl die Familie seit Jahren vom Jugendamt begleitet wurde. Möhle hielt den Fall nach der zweistündigen Sondersitzung der Sozialdeputation für geklärt. Deshalb war seine Mahnung eine Art Schlusswort, zu der – zumindest aus Reihen der Regierungsparteien – beifällig genickt wurde.
Möhles Kollegin von der CDU, Rita Mohr-Lüllmann, sah man es an, dass sie ein schales Gefühl aus der Sitzung mitnehmen würde. Ihre Fraktion hatte die Sondersitzung beantragt, um den Fall noch einmal im größeren Rahmen zu diskutieren. Von Zufriedenheit könne keine Rede sein, schließlich sei „die Eskalation komplett an der Behördenspitze vorbeigegangen“. Damit meinte sie jene Phase im Leben der Mädchen, als sie der Polizei bei einer Verkehrskontrolle als so verwahrlost aufgefallen waren, dass sie schließlich in die Obhut des Jugendamtes genommen wurden. Zu Hause, in der verdreckten Wohnung, war nur die offenbar psychisch kranke Mutter; der Vater war nach eigener Aussage schon seit zwei Wochen nicht mehr dort gewesen.
Rosenkötter attestierte dem Jugendamt, es habe „sauber und ordentlich gearbeitet und alle Möglichkeiten ausgeschöpft“. Bereits im Herbst 2007 hatte das Amt den Antrag auf Sorgerechtsentzug gestellt, weil sich die Lage der Mädchen da schon zugespitzt hatte. Da das Familiengericht dem Antrag nicht stattgab, seien der Behörde die Hände gebunden gewesen, berichtete der Leiter des Amtes für Soziale Dienste, Peter Marquard. Danach hatte sich die Situation verbessert; der Abschlussbericht des Familienkrisendienstes beendete den Fall zunächst förmlich.
Um den Kontakt zu den Kindern nicht zu verlieren, wurde mit Schule und Kindergarten der Mädchen vereinbart, sich beim Jugendamt zu melden, „wenn die Kinder fehlen oder es besondere Vorkommnisse gibt“. Da es bis zum Ferienbeginn keine Meldungen gab, kam die neuerliche Eskalation eine Woche nach Ferienbeginn überraschend – allerdings seien sofort Maßnahmen eingeleitet worden, die zur Inobhutnahme führten. Der FDP-Abgeordnete Magnus Buhlert sekundierte dem Oppositionspartner CDU in der Frage nach dieser einen Woche in den Sommerferien. Es sei „unbefriedigend, wenn sich das Amt auf Kindergarten und Schule verlasse und für die Ferien kein tragfähiges Warnsystem vorhanden ist“.
Eine schlüssige Antwort auf die mehrfach gestellte Frage nach der Kontrolle der Kinder in den Ferien konnte Rosenkötter aber nicht liefern. Ihre Beteuerung, auch in den Ferien griffen die Mechanismen, klang so, als sollte diese Frage tatsächlich noch einmal geklärt werden.