Staatsverunsicherung

Das Porträt zweier Regimekritiker: „Allein gegen die Stasi oder Das teuerste Flugblatt der Welt“ (Arte, 21.55 Uhr)

Das Einzige, was man dem Film „Allein gegen die Stasi“ vorhalten muss, sind die Schreibmaschinentöne und die etlichen nachgestellten Krisensitzungen in Hinterzimmern. Wie in fast allen DDR-Dokus sind diese Mätzchen auch in Gabriele Deneckes Film überflüssig. Konspirativer wird so nichts.

Die Geschichte aber ist gut und eigentlich ohne jede technische Zutat spannend. Sie handelt von den Ostberliner Physikstudenten Rainer Schottlaender und Michael Müller, die Ende der 60er Jahre eine der größten Fahndungsaktionen der Staatssicherheit auslösten.

Ausgangspunkt ist der Sommer 1968 und eine Studienreise der beiden Regimekritiker nach Prag – auf der Suche nach dem Sozialismus mit „menschlichem Antlitz“. Bewaffnet mit einer einfachen – ja, wirklich! – Schreibmaschine und inspiriert vom „Prager Frühling“ kehren sie nach Berlin zurück und werden aktiv. Heimlich verfassen sie Flugblätter, auf denen sie gegen Unterdrückung und marxistischen Dogmatismus wettern. In der Eliteschmiede der DDR, der Humboldt-Universität, legen sie die Flugblätter aus. Doch niemand reagiert – außer der Stasi. Und die fahndet, wie Denecke aus den Akten akribisch rekonstruiert, vier Jahre lang mit hunderten Mitarbeitern nach den „Aufwieglern“, prüft 1,3 Millionen Personalausweisanträge auf Typengleichheit mit der Schreibmaschine, verhört Studenten und deren Angehörige, erstellt Profile – doch wird nicht fündig. Schottlaender wurde zwar 1971 zu zwei Jahren Haft verurteilt. Allerdings nur wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts“.

Kurzum: Ein schönes Porträt zweier, die für einen etwas besseren Sozialismus kämpften. Ein erschreckendes Porträt eines Staates, den ein simples Flugblatt in Todesangst versetzte und der nicht merkte, wie er mit den Spitzelkünsten letztlich Selbstmord beging. VEIT MEDICK