Tennis in der Thatcherära

Tim Adams erklärt, was es heißt, John McEnroe zu sein

Tim Adams beschwört das goldene Zeitalter des Tennis, als man noch mit Holzschlägern spielte und es also auf Ballgefühl, Taktik und spielerische Raffinesse ankam – nicht auf „Wham, bam, thank you, Ma’am“, wie es der Held des Buches, David Bowie zitierend, so treffend auszudrücken beliebte. Adams muss sich gar nicht groß anstrengen – er nennt die auratischen Namen und hat schon fast gewonnen: Arthur Ashe, Jimmy Connors, Vitas Gerulaitis, immer wieder der stoisch-coole Björn Borg, den der Autor nur mit zwei, drei Strichen skizzieren muss, und schon erstrahlt er wieder in seiner ganzen langhaarigen Lässigkeit und konzentrierten Eleganz.

Auf der gegenüber liegenden Seite steht „Superbrat“ John McEnroe, der cholerische Prolet, der narzisstische Rüpel, der Punk. Vielmehr steht er gar nicht, sondern verbiegt Schläger, schmeißt mit Cola-Dosen und spritzt den schwedischen König nass, brüllt seine Wut über sein Schicksal und die Unzulänglichkeit der Schiedsrichter hinaus – und zeigt den englischen Steiflippen auf dem Centre Court, was er vom Gentleman-Ideal und den alten viktorianischen Anstandsregeln hält. Nämlich gar nichts. „Ihr seid der Abgrund der Welt“, stößt er den hochdekorierten Luftwaffenoffizieren Bescheid, die hier ehrenamtliche Schiedsrichter sind. Oder noch schöner: „Ihr zwei seht aus wie Pickel an einem Baum.“

Adams interpretiert McEnroe als Star neuen Typs, als furchtlosen Einzelkämpfer und Outlaw, der, um zu siegen, jederzeit die gängigen Normen zu missachten bereit ist. Das war schlicht und einfach zeitgemäß, die adäquate Achtzigerjahre-Attitüde, die dann auch bald von einer kleinen Sportartikelfirma namens Nike unter Vertrag genommen und als imagebildendes Etikett genial instrumentalisiert wurde: „Just do it!“

Sein Renegatengebaren in Wimbledon spiegelte aber auch die innenpolitische Situation Großbritanniens jener Jahre wider. McEnroe artikulierte gewissermaßen den Frust der Arbeiterklasse in der Thatcher-Ära, die angesichts der wirtschaftlichen Depression und der enorm gestiegenen Arbeitslosenquoten durchaus meinte, es ein bisschen schleifen lassen zu können mit „Anstand und Höflichkeit gegenüber reichen Leuten, die keine Steuern zahlen“. Das alles wird von Adams einleuchtend entwickelt und formuliert. Auch McEnroes komplementäre, beinahe schon erotische Gegnerschaft zu Borg, den er brauchte, weil nur dieser ihn zu dem idealen Tennis zwang, das er von sich selbst erwartete, beschreibt Adams empathisch und mit der nötigen küchenpsychologischen Delikatesse, ohne die es wohl nicht geht.

Nur die Exegese der beiden zentralen Begegnungen mit Borg, ebenjener sagenhaften Wimbledon-Endspiele 1980 und 1981, an die man als früh genug Geborener schemenhafte Erinnerungen zu haben glaubt, bleibt merkwürdig unfertig, geradezu skizzenhaft und blass. Dabei wäre doch gerade das Adams’ literarische Nagelprobe gewesen. Aber ausgerechnet die minutiöse, die Dramatik nachempfindende, die Stimmung einfangende, den Duft des Rasens oder meinetwegen der Erdbeeren mit Sahne erschnuppernde Beschreibung des Spiels bleibt er uns schuldig.

FRANK SCHÄFER

Tim Adams: „Being John McEnroe“. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Berlin Verlag, Berlin 2008, 142 Seiten, 16 Euro