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Archiv-Artikel

Landnahme von rechts

Schleichend baut die NPD in Ostdeutschland ihre Strukturen aus. Sachsen, Mecklenburg-Vor-pommern – nun ist Brandenburg an der Reihe. Bei der Kommunalwahl im September wollen die Rechtsextremen die Belohnung für ihre Aufbauarbeit der vergangenen Jahre einfahren. Wären da nicht die Straftaten ihrer Mitglieder – und der wachsende Widerstand der Bürger

RECHTE FLÄCHEN BEI KOMMUNALWAHL

Den rechtsextremen Parteien NPD und DVU ist es nicht gelungen, flächendeckend Kandidaten für die brandenburgische Kommunalwahl Ende September aufzustellen. Diese gemeinsame Absicht ließ sich nicht umsetzen, sagte der Brandenburger NPD-Sprecher Thomas Salomon in einer Mitteilung.

Demnach wird die NPD nur in den Landkreisen Oder-Spree, Oberhavel, Havelland, Dahme-Spreewald und in der kreisfreien Stadt Cottbus antreten. Die DVU hat ihren Wahlantritt für die Landkreise Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Potsdam-Mittelmark, Prignitz, Teltow-Fläming und für die Stadt Potsdam angekündigt. Im Märkisch-Oderland und im Barnim führen die beiden Parteien gemeinsame Listen. Damit bleiben die drei Landkreise Ostprignitz-Ruppin, Spree-Neiße und Uckermark sowie die kreisfreien Städte Brandenburg und Frankfurt voraussichtlich ohne kandidierende Rechtsextreme.

Bei der vergangenen Kommunalwahl 2003 errang die NPD 3 Mandate. Die DVU konnte 9 Kandidaten in die Kreistage schicken. Die NPD, die auf eigene Kandidaten zugunsten der DVU bisher verzichtet hatte, habe Probleme, kurzfristig im rechten Lager einzuspringen. DPA, TAZ

VON KONRAD LITSCHKO

Eckart Bräuniger brüllt jetzt fast ins Mikro. „Und wenn auch das nichts hilft, muss man ihnen notfalls die Rübe abschlagen.“ „Jawohl“, ruft einer. Die Kameraden klatschen. Minutenlang hat der Leiter der Berliner NPD-Zentrale Kindesmisshandlungen in der Bundesrepublik aufgezählt, sich echauffiert über das hiesige Rechtssystem, das solche Täter schütze. „Wo heute die Justiz versagt, werden wir Gesetze erlassen, die wirklich dem Wohle des Volkes dienen.“

Hier im kleinen Joachimsthal, in der Brandenburger Schorfheide, hat die NPD ein Thema gewittert. „Kinder brauchen Zukunft“ steht auf ihren Transparenten, „Todesstrafe für Kindermörder“ auf einzelnen Shirts, als die Rechtsextremen durch die engen Straßen ziehen. Sie haben es auf Werner K. abgesehen, einen nach 22 Jahren aus der Haft entlassenen Sexualstraftäter, der wieder in Joachimsthal wohnt. „Hier hilft nicht das perverse System der Resozialisierung. Solche Menschen müssen sichergestellt werden“, krakeelt der Berliner NPD-Chef und rechte Liedermacher Jörg Hähnel. „Dann braucht es eben Bürgerwehren und Selbstjustiz. Dann muss es eben das Volk selbst tun, wenn die Politik versagt.“

Die Joachimsthaler lehnen auf den Fensterbrettern, stehen am Straßenrand, als die NPD vorbeizieht. „Was die NPD sonst macht, na ja. Aber heute haben sie Recht“, murmelt ein Rentner mit Fahrrad. „Wer ist denn von den anderen Parteien hier vorbeigekommen?“ Einige Wochen vor der NPD hatte bereits eine Bürgerinitiative gegen Werner K. demonstriert. Viele sind es nicht, die von der NPD heute da sind, vielleicht 70. Aber ihre märkischen Führungsköpfe und Kreisvorsitzenden sind alle erschienen. Sie sehen zufrieden aus. „Liebe Joachimsthaler, wir kommen wieder!“

Die NPD ist in Brandenburg angekommen. Leise hat sie nach und nach Ortsgruppen und Kreisverbände gegründet, Mitglieder gesammelt, Demonstrationen organisiert. Brandenburg, das war unter den Rechten bisher DVU-Land. Doch in den vergangenen Jahren war es nur noch die NPD, die öffentlich Akzente setzte und wohldosiert Skandale provozierte. Ende September werden in Brandenburg die Kommunalparlamente gewählt. Für die NPD wird es ihre bisher wichtigste Wahl im Land. Sie will für ihre Aufbauarbeit belohnt werden.

Sachsen hat Anfang Juni gezeigt, wo es hingehen soll: Bei der dortigen Kommunalwahl errang die NPD in allen Kreistagen Mandate. Auch in Brandenburg erzielte die NPD bei der vergangenen Bundestagswahl bereits in manch Dörfern bis zu 14 Prozent der Wählerstimmen. Und sie kann auf die Unterstützung der Kameraden aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen hoffen. Dort sitzt die NPD bereits in den Landtagen, hat ihre Strukturen im Land etabliert. Eine Ost-Achse von Schwerin nach Dresden, über Brandenburg und die Parteizentrale in Berlin, zeichnet die NPD ihre Vision.

Der Aufstieg der NPD in Brandenburg, es ist das große Projekt vor allem eines Mannes: Klaus Beier. Mit Karohemd und schwarzer Ledermappe steht der 41-jährige NPD-Landeschef in Joachimsthal, plaudert mit den Demonstranten, hält Kontakt zum Lautsprecherwagen. Der Mann mit dem schmalen Bart um den Mund und dem lichten Haar pflegt ein vielgesichtiges Auftreten: nach außen und zur Presse sachlich, jemand, der auch Probleme seiner Partei eingesteht. Vor seinen Parteifreunden ein Geiferer, der „die Schnauze voll hat von dem liberalen Gequatsche“ und für die Todesstrafe eintritt. Klaus Beier ist Vollzeit-NPDler: Landeschef in Brandenburg, Pressesprecher des NPD-Bundesverbands, Vorsitzender des Kreisverbands Oderland. 2010, sagt er, wird die NPD flächendeckend in Brandenburg verankert sein.

Der gebürtige Bayer kam, als die Brandenburger NPD am Boden lag. 2004 war gerade ihr Landeschef mitsamt seinem Kreisverband aus der NPD geflüchtet. Es war Beier, der die Partei wieder aufbaute. Der bei seiner Suche nach Mitgliedern auch vor neonazistischen Kameradschaftlern nicht zurückschreckte. Mit deren Auftreten sei er „in den letzten Jahren sehr zufrieden“ gewesen, lobt Beier. Und der gelernte Kaufmann predigte das lokale Einmischen. Als in Storkow eine Polstermöbelfabrik geschlossen werden sollte, protestierte die NPD auf dem Marktplatz. Bei einem Volksfest mit gemeinsamer Radtour um den Fürstenwalder Scharmützelsee stiegen die Rechtsextremen mit Partei-Hemd aufs Fahrrad. In Königs Wusterhausen protestierte man gegen „Gewalt am Bahnhof“, in Erkner gegen „ausländische Schlägerkommandos“. Und in der Lausitz versuchte man sich unter eine Bürgerinitiative gegen neue Braunkohletagebaue zu mischen – es gehe schließlich um „das Menschenrecht auf Heimat für viele Deutsche“.

„Problematisch wird es mit der NPD im ländlichen Raum“, warnt Dirk Wilking, Geschäftsführer des Mobilen Beratungsteams Brandenburg. Es ist der Mecklenburg-Vorpommern-Effekt: Dort, wo die demokratischen Parteien kaum noch präsent sind, setzt die NPD an. Mit beunruhigenden Folgen, wie Angelika Thiel-Vigh, Leiterin des „Toleranten Brandenburg“, der Koordinierungsstelle der Landesregierung, bemerkt: „Die NPD schürt die Ängste der Bürger und verstärkt bei ihnen das Gefühl, abgehängt zu sein.“ Dabei beschränkt sich die NPD nicht nur auf den politischen Raum. Längst haben die Rechtsextremisten auch Bürgerinitiativen, Sport- und Schützenvereine im Visier, heißt es in ausführlichen Berichten des Verfassungsschutzes.

In der Brandenburger Landesführung ist man unschlüssig, wie mit der erstarkten NPD umzugehen ist. Während Ministerpräsident Mathias Platzeck (SPD) für ein Parteiverbot wirbt, lehnt Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ebendieses ab. Ein Rückziehen der Verfassungsschutz-Informanten aus der NPD für ein Verbotsverfahren sei wenig hilfreich. „In dieser Zeit blind zu sein, halte ich für bedenklich“, so Schönbohm zur taz. Dabei war gerade er es, der in den vergangenen Jahren wenig zimperlich gegen rechtsextreme Gruppierungen im Land vorgegangen ist: Für den Soldatenfriedhof in Halbe, bundesweiter Aufmarschort der Szene, wurden rechte Aufzüge untersagt. Alle bedeutenden Kameradschaften hat Schönbohm verboten. Andere, wie der „Märkische Heimatschutz“, die ihrer Zeit führende Brandenburger Kameradschaft, kamen mit ihrer Selbstauflösung dem Verbot zuvor. So blieben im Land nicht viel mehr als die DVU und NPD für das Milieu zurück.

Tatsächlich wird heute besonders die Brandenburger Nachwuchsorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten (JN), vornehmlich von ehemaligen Kameradschaftskadern geführt. In Rathenow ist gar der heutige NPD-Stadtchef ein ehemals führender Aktivist der inzwischen verbotenen Kameradschaft „Hauptvolk“. „Die Kameradschaftler sind die Aktivposten der NPD“, beobachtet Dirk Wilking. „Aber sie drängen weniger Militante aus der Partei. Die NPD radikalisiert sich.“

Für die Landesregierung und die zivilgesellschaftlichen Initiativen ist dies ein durchaus beunruhigendes Zeichen. „Die NPD bleibt zutiefst antisemitisch, rassistisch und fremdenfeindlich“, sagt Kim Sommer, Sprecherin der Brandenburger Initiative „Keine Stimme den Nazis“. Das Bündnis aus Nachwuchsorganisationen der Parteien und Gewerkschaften sowie Antifa-Gruppen will vor der Kommunalwahl vor allem jugendliche Wähler vom Kreuz bei den Rechten fernhalten. „Die NPD ist verfassungsfeindlich, das sagt sie selbst“, betont auch Angelika Thiel-Vigh vom „Toleranten Brandenburg“.

Tatsächlich lässt die NPD immer wieder ihrer Ideologie freien Lauf: In Oranienburg hetzte die JN rassistisch gegen eine geplante Chinatown. In Schöneiche wetterten NPDler gegen ein jüdisches Laubhüttenfest und versuchten eine Chanukka-Feier zu stören. Dazu passt, dass der NPD-Spitzenfunktionär Udo Pastörs auf einer Demonstration im brandenburgischen Halbe im Juni 2007 forderte, „diese ganze verfaulte Republik zu unterwühlen“. Ein „Sammelbecken für Rassisten und gewaltbereite Antidemokraten“ sei die NPD heute, heißt es denn auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht.

Wiederholt fallen selbst führende Brandenburger NPD-Mitglieder durch Straftaten auf, was das angestrebte Image der bürgerlichen Partei zur Farce werden lässt. Die NPD-Vorsitzenden in Rathenow und Königs Wusterhausen standen wegen Gewaltdelikten vor Gericht. Auch Landeschef Klaus Beier wurde unlängst wegen Hausfriedensbruch verurteilt, ein Verfahren wegen Volksverhetzung läuft noch gegen ihn. Und unverhohlen droht die märkische NPD schon heute, die Auszählungen der Kommunalwahl im September in einigen Wahllokalen direkt zu „beobachten“, um „Unregelmäßigkeiten gegenüber nationalen Parteien“ zu vereiteln.

„Problematisch wird es mit der NPD im ländlichen Raum“, sagt das MBR „Kommunalwahl interessiert die NPD nicht. Sie will in den Landtag“

Die NPD strotzt vor Selbstbewusstsein – was auch das bisherige Bündnis mit der DVU ins Wanken bringt. Seit Anfang 2005 gilt zwischen den beiden Parteien der Deutschlandpakt. „Der Bruderkampf ist eingestellt“, verkündeten die Rechtsextremen feierlich und versicherten, nicht mehr gegeneinander anzutreten. Brandenburg wurde der DVU zugeschlagen, die nun schon zum zweiten Mal im Landtag sitzt. Für die Kommunalwahl haben sich die Parteien die Landkreise aufgeteilt: Vier Kreistage sowie die kreisfreie Stadt Cottbus gehen an die NPD, mindestens ebenso viele Landkreise an die DVU. Zudem werden die Parteien im Märkisch-Oderland und im Barnim eine gemeinsame Liste führen.

Dass die NPD die Mitgliederzahlen der DVU inzwischen überflügelt, dass die Basis meutern wird, sollte ihre NPD bei einem Kommunalwahlerfolg nicht im nächsten Jahr auch bei der Landtagswahl antreten – davon schweigt Beier. Dennoch beteuert auch der DVU-Landesvorsitzende Sigmar-Peter Schuldt, dass „gerade in Brandenburg der Deutschlandpakt gut funktioniert“. Daran werde sich auch im kommenden Jahr der Landtagswahl nichts ändern. „Selbstverständlich wird zur Landtagswahl die DVU antreten“, glaubt Schuldt an die Absprachen mit der NPD. Dirk Wilking vom Mobilen Beratungsteam sieht das weniger selbstverständlich: „Die Kommunalwahl interessiert die NPD einen feuchten Kehricht. Sie wollen in den Landtag.“ Das freilich würde den Bruch mit der DVU bedeuten.

Dass sich die NPD noch auf das rechtsextreme Bündnis zur Kommunalwahl einlässt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie gar nicht ausreichend aufstellbare Kandidaten in ihren Reihen aufbietet. Zwar verzeichnet sie mit 250 Mitgliedern ihren Höchststand im Land – die NPD hat damit aber trotzdem gerade mal so viele Mitstreiter wie der Verband Christlicher Pfadfinder Berlin-Brandenburg. Oftmals sind es nur wenige Aktive, ja meist nur die immer gleichen Kreisvorsitzenden, die an den Wahlständen stehen oder bei demokratischen Parteiveranstaltungen stören. „Der Wahlkampf wird ein Tournee-Theater mit den Kreisverbandshäuptlingen“, prophezeit Dirk Wilking. Aufgrund der fehlenden Basisaktivitäten versucht sich die Partei auch mit angeblichen Immobilienkäufen im Gespräch zu halten. Seit Jahren tauchen gehandelte Gebäude auf – ohne dass die NPD bis heute jemals einen Vertrag erfolgreich abgeschlossen hätte. Kein Wunder, bezeichnet der Verfassungsschutz die märkische NPD doch als „notorisch finanzschwach“. Auf gerade einmal 15.000 Euro schätzen die Ermittler das Vermögen der Partei.

Zudem werden die Kaufabsichten der Partei zunehmend auch von der Brandenburger Zivilgesellschaft gestört. Wo immer die NPD mit beabsichtigten Immobilienkäufen oder Demonstrationen aufkreuzt, formieren sich Protestbündnisse, Mahnwachen und Gottesdienste gegen die Rechtsextremen. Das sah vor Jahren noch anders aus. Heute hat selbst der Brandenburger Gaststätten- und Gewerbeverband die NPD offiziell ausgeladen. Es herrsche ein erfreulich gewachsenes, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus im Land, lobt denn auch Jörg Schönbohm. „Der NPD weht im Jahr der Kommunalwahl ein kräftiger Wind ins Gesicht. Das stimmt optimistisch“, so der Innenminister. Auch Angelika Thiel-Vigh vom „Toleranten Brandenburg“ sieht hier „weitaus mehr Gegenwind als in Sachsen“.

Auch in Joachimsthal haben sich Bürger zu einem Mahngottesdienst gegen die NPD und ihre „Anti-Kinderschänder-Demo“ zusammengefunden. Der stete Protest gegen die eigene Partei interessiere ihn nicht, wiegelt NPD-Chef Klaus Beier trotzig ab. „Das ist ein Promillesatz von instrumentalisierten Menschen, nicht die breite Bevölkerung, die wir erreichen wollen.“ Als die Kameraden schon mit der Regionalbahn aus der kleinen Stadt verschwunden sind, verlässt Beier als Letzter die Demo, spaziert zu seinem Auto. Er müsse weiter, zu einer kommunalpolitischen Schulung für seine Leute. Man müsse von Generation zu Generation denken, ruft Beier. „Irgendwann werden wir die Mehrheit haben.“ Wann, denke er, wird das sein? Er antwortet: „Ich werde es noch erleben.“