: „Politische Erpressung“
Die Bremer EU-Abgeordnete Helga Trüpel kritisiert, dass das EU-Parlament die Idee eines Boykotts der Olympia-Eröffnungsfeier aufgab. Dafür besuchten sie chinesische Diplomaten – und drohten
INTERVIEW VON KLAUS WOLSCHNER
taz: Frau Trüpel, was haben Sie als EU-Parlamentarierin mit China zu tun?
Helga Trüpel, grüne EU-Abgordnete: Ich habe drei Arbeitsschwerpunkte im EU-Parlament: Ich bin Vizepräsidentin des Kultur- und Bildungsausschusses, haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und schließlich Mitglied in der China-Delegation des Parlaments.
Im Zusammenhang mit den olympischen Spielen gab es in Straßburg starke Diskussionen. Weshalb?
Nach den Auseinandersetzungen um Tibet wollte sich die Mehrheit der Parlamentarier einen Boykott der Eröffnungsfeier offen halten, wenn sich die Lage in Tibet nicht bessert. Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy hat noch im April gesagt, er wolle über den Boykott der Eröffnungsfeier nachdenken. Nun ist er EU-Präsident und Anfang Juli hat er gesagt, er fährt dahin – und zwar mit dem Segen der G 8-Regierungschefs. Daraufhin sollte es eine harte Debatte im EU-Parlament geben.
Was geschah dann?
Im Vorfeld dieser Debatte bekam ich eine Mail von einem Mitarbeiter der chinesischen Botschaft, den ich aus Verhandlungen kenne. Er schrieb, er wolle sich mit einem anderen Vertreter aus China mit mir treffen – bemerkenswerterweise nur mit mir. Kein anderes Mitglied der China-Delegation war dabei.
Wie lief das Treffen ab?
Die haben eine halbe Stunde Süßholz geraspelt, wie nah sich die Grünen und die Kommunistische Partei Chinas seien, weil wir ja beide Nachhaltigkeit wollten und eine multipolare Welt. Ich habe immer darauf gewartet, was sie nun eigentlich wollen.
Nämlich?
Dann haben sie erklärt, wenn das europäische Parlament weiter so kritisch Politik machen und die geplante Resolution verabschieden würde, dann würde das die Beziehungen der EU zu China schwer belasten.
Haben sie diese Drohung konkretisiert?
Zu mir sagten sie auf englisch ohne Dolmetscher: „Be prudent“, „sei vorsichtig“. Ich sollte mir gut überlegen, was für eine Politik wir machen. Freunde würden sich nicht so kritisieren. Das könnte sonst dramatische Auswirkungen haben.
Konnten Sie denn in der Sache mit denen diskutieren?
Sie haben dazu nur das Übliche gesagt, nämlich dass das in Tibet alles Verbrecher waren. Ich habe ihnen daraufhin erklärt, dass ich dort war und ihnen klar gemacht, dass wir die USA wegen Guantanamo kritisieren und Zimbabwe wegen der Menschenrechtsverletzungen und dass wir uns von niemandem verbieten lassen, die Forderung nach kultureller Autonomie in Tibet zu unterstützen.
Wie ging es weiter?
Die Koppelung von Freundlichkeiten und Diskussion habe ich so noch nicht erlebt. Sie haben gesagt: Wenn Sie dann in China sind und irgendetwas brauchen, oder wir wissen, Ihre Tochter will chinesisch lernen, wenn wir da behilflich sein können, müssen Sie das sagen.
Klingt nach …
… politischer Erpressung. Ich bin doch nicht eine chinesische Staatsbürgerin, die Angst vor diesen Kerlen haben muss. Aber der Habitus war genau so, wie sie offenbar in China mit kritischen Menschen umgehen.
Was hätte ein Boykott der Eröffnungsfeier aus Ihrer Sicht bedeutet?
China will sich mit den Olympischen Spielen auf der diplomatischen Weltbühne zurückmelden und zeigen, was für ein erfolgreiches Land sie sind. Wir wollen, dass die Spiele stattfinden. Wir sehen, was sich in den letzten 30 Jahren getan hat in China. Aber wir haben auch gesehen, dass alle direkten Versprechungen, was Menschenrechte und Freiheit angehen, leider nicht gehalten werden. Mit dem Boykott hätten wir ein Zeichen gegen diese Missstände setzen können.
Sarkozy sieht das anders.
Sarkozy hat seine Präsenz bei dieser Eröffnungsfeier in der Debatte des EU-Parlaments damit gerechtfertigt, dass es um Dialog gehe. Klar geht um Dialog, aber es geht auch um Konfrontation, wenn man es mit solchen autoritären Regimes zu tun hat. Es hat dann letztlich nur eine abgeschwächte Resolution gegeben. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering ist allerdings bei seiner Meinung geblieben.
Ein standhafter Konservativer.
Ja. Dieser CDU-Politiker hatte das Thema Boykott schon im April sehr deutlich angesprochen. Es gibt auch bei den Tories einige. Bei den Kommunisten und den Sozialisten hingegen sagen viele, man müsse unterscheiden zwischen sozialen und bürgerlichen Menschenrechten. Bei den sozialen Menschenrechten habe China große Fortschritte gemacht, und diese bürgerlichen Freiheitsrechte, na ja …
Sagen sie das aus wirtschaftlichen Gründen?
Die Mehrheit der Konservativen hat erklärt, es sei sehr schwierig für die wirtschaftlichen Beziehungen, weil die Chinesen beleidigt sind und Druck machen. Ich persönlich glaube eher, dass die wirtschaftlichen Verflechtungen so weit fortgeschritten sind, dass man sich ein bisschen politischen Streit gut leisten kann.