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Archiv-Artikel

Augen-Akrobatik für Fortgeschrittene

Hannover 96 ist Ligamittelmaß und alle tun so, als würden sie sich wohl damit fühlen. Doch die Transferpolitik der letzten Monate sagt etwas anderes. Wenn es nach der Vereinsführung geht, dürfte es der Uefa-Cup schon sein

Flauschig eingebettet zwischen Durchschnittsgrau und Hoffnungen auf europäische Mindest-Wettbewerbe wie den UI-Cup hat es sich Hannover 96 richtig gemütlich gemacht. Willkommen im Niemandsland der Kicker-Stecktabelle! Für unten zu gut, für oben zu schwach. Und alle im Verein, so scheint es, lächeln zufrieden.

Am Ende der vergangenen Saison hatte Trainer Dieter Hecking den Anhängern noch endorphinbesoffen den Uefa-Cup versprochen, doch nach zwei sommerlichen Aspirin kuschelt auch er längst wieder mit dem einstelligen Tabellenplatz. Hannover ist der Tabellenführer der Anspruchslosen. Selbst Choleriker Martin Kind verkündet aus seinem Präsidentensessel heraus: „Wir müssen mit Platz sieben bis zehn zufrieden sein.“

Doch in Wahrheit ist die neue Bequemlichkeit nur ein Laienschauspiel. Hochstätter gibt den vom Mittelmaß gesättigten Manager zwar mit der nötigen Ernsthaftigkeit, doch allein seine Einkaufspolitik straft diese offizielle Zurückhaltung Lügen. Hannover 96 hat viel Geld in die Hand genommen, um nicht im Restligasumpf zu versinken. Hecking und Hochstätter üben sich dabei in Augenakrobatik für Fortgeschrittene: Während sie mit dem einen immer die realen Möglichkeiten des Vereins im Blick haben, schielt das andere auf die Uefa-Cup Plätze. Und flackert dabei unruhig.

Auch weil Hochstätter, Hecking und Kind den Rivalen aus der Nachbarschaft nicht gänzlich aus dem Blickfeld entkommen lassen dürfen: Der VfL Wolfsburg hat die 96er in diesem Frühjahr in seinem mit Blattgold lackierten VW überholt. Und allein aufgrund dieser neuen niedersächsischen Konkurrenz-Situation würde eine erneute Stagnationsspielzeit für Heckings Mannschaft einen schmerzlichen Rückschritt bedeuten. Wolfsburg wird wahrscheinlich in spätestens zwei Jahren über Europas Fleischtöpfe herfallen. Den Hannoveranern bliebe dann nur noch der vegane Katzentisch im Wolfsburger Schatten.

Und so sind von Kind auch Sätze zu hören wie: „Immer Platz acht bis 12“ das ist nicht mein Ding und würde mich auf Dauer verrückt machen.“ Auch das hat der Mann gesagt, der gesagt hat: „Der achte Platz spricht für eine erfolgreiche Saison.“

Hochstätter und Hecking durften deshalb erneut einkaufen gehen, und schon ihr Beuteschema verrät, das sich in Hannover in den letzten zwei Jahren einiges verändert hat. Anders als in den Chaos-Jahren nach dem Bundesliga-Aufstieg 2002, als Hannovers Transferpolitik oft dem unkoordinierten Verhalten eines Kleptomanen am Grabbeltisch ähnelte und die Niedersachsen suboptimal begabten Portugiesen, Amerikanern und Osteuropäern nach dem Zufallsprinzip rote Leibchen überstülpten, haben Hochstätter und Hecking diesmal ein Quartett konkurrenzfähiger Bundesligaspieler verpflichtet. Darunter mit Mikael Forssell einen Liebling Hochstätters aus dessen Gladbacher Zeit und mit Jan Schlaudraff den fußballerischen Ziehsohn Heckings. Nebenbei hat Hochstätter der Konkurrenz aus Karlsruhe den Fast-EM-Fahrer Mario Eggimann ausgespannt. Einen echten Leistungsträger.

Diese Neuverpflichtungen sind das Ergebnis der neuen Sachlichkeit in Hannover. Hochstätter und Hecking haben den Verein in den letzten zwei Jahren kontinuierlich und ohne großes Bohai weiterentwickelt. Dabei setzt vor allem Hochstätter auf langfristigen Nachhall statt auf den schnellen Erfolg einer einmalig erkauften UI-Cup-Teilnahme. Der Drahtseilakt Tabellenklettern ist in Hochstätters Hannover eine Politik der kleinen Schritte. Und der nächste sollte nach Europa führen. Bevor sich Hannover 96 in der Bettenburg der Mittelmäßigkeit wund gelegen hat. LUKAS VOGELSANG