KUNSTRUNDGANG
: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um

Was eigentlich meint heute retro, war die Frage vor dem Besuch der sommerlichen Gruppenausstellung „retro“ bei Markus Winter. Ein schlichter Teppich aus Yarkant (heute Uigurisches Autonomes Gebiet der Volksrepublik China) stammt aus den 1920er-Jahren. Ein Schrank des italienischen Designers Pierluigi Colli, der seltsamerweise auf einem schmiedeeisernen Unterteil aufsitzt, ist nicht wesentlich jünger. Das gibt zu erkennen, dass „retro“ bei Winter wirklich retro ist. Selbst wenn die Tischplatte, die Böcke, die Lampe, der Stuhl, die Tasche, die Pflanze und der Teller, die Valérie Bouvier mit einem schwarzweiß ornamentierten Papier überzogen und unter dem Titel „Nature Morte“ installiert hat, aus dem Jahr 2008 stammen. Von 2008 ist auch das kleine Ölgemälde von Jean Baptiste Bouvier, der die Ausstellung mitkuratiert hat. Sein „Jet in the Storm“ hängt wie wie eine Fledermaus im Himmel. Das Bild verdichtet die Ausstellungsatmo: Retro ist die schräge, eklektische Poesie, die sich einstellt, wenn das Alte gut im Neuen aufgehoben ist, und sei’s in einer doch überraschenden Mischung aus Möbeln und Kunstwerken.

„Große Ferien“ heißt die Ausstellung von Frauke Schumann in der Galerie Degenhartt, doch der Titel trügt. Nebensaison ist der richtige Begriff für die Zeit, in der Schumann schon seit einigen Jahren ihre Mittelformatkamera an bekannten Touristenorten in Frankreich und Italien aufbaut. In der mit großer Sorgfalt getroffenen Hängung kommt die subtile Treffsicherheit, mit der Schumann ihre Motive bearbeitet, zu schönster Wirkung: die farbenfrohe, gelassene Sympathie, mit der die Kamera das Idyll menschenleerer Strände in formal kühlen Ausschnitten festhält und damit die leise Melancholie der aufgeräumten Ferienorte, in der Schumann beiläufig doch die Lebensfreude dingfest macht, die hier kurz zuvor noch gesucht und auch gefunden wurde.

„Retro“, bis 27. September, Mi.–Sa. 14–18 Uhr, Galerie Markus Winter, Chausseestr. 104; Frauke Schumann: „Große Ferien“, bis 13. September, Di.–Sa. 13–18 Uhr, Galerie Degenhartt, Ackerstr. 14–15