berliner szenen Unsere Film-WG

Die lieben Nachbarn (1)

Die WG über uns schaut nachts gern Filme auf dem Balkon. Sie projizieren den Film an die gegenüberliegende Hauswand. Das hat den Vorteil: Sie müssen nicht in ein Open-Air-Kino fahren. Neulich wurden wir von Schüssen wach. Durch unser Schlafzimmerfenster schauten grimmig dreinblickende Soldaten, die Augen groß wie unsere Köpfe. Wir seufzten. Bei dem Geballer würden wir nicht wieder einschlafen können. Der Film traf nicht ganz unseren Geschmack.

Also tapsten wir auf den Balkon. „Hey, WG!“, riefen wir nach oben. Keine Reaktion. Des Lärms müde riefen wir die Polizei. Die rückten auch sogleich an, musterten neugierig unsere Pyjamas und bauten sich dann mit freundlichen Gesichtern vor der WG-Tür auf. Auf der gegenüberliegenden Hauswand wurden Leichen in Säcke gehüllt. Das Ratschen des Reißverschlusses hallte bis in unser Treppenhaus.

Der Polizist klingelte, aber bei der WG rührte sich nichts. Er schickte seinen Kollegen nach unten zur Haustür zum Stereo-Klingeln. Immer noch nichts. Der Polizist tat, was nur Polizisten können: Er wummerte mit der Faust gegen die Tür und brüllte so laut „Aufmachen, Polizei!“, dass im gegenüberliegenden Haus jemand aus der Tür kam.

Die WG-Tür knackte im Mauerwerk. Seine Kollege riss unterdessen das Treppenhausfenster auf und brüllte auf den WG-Balkon. Ich holte mir eine Strickjacke. Der Einsatz versprach länger zu werden. Erst als die Polizisten heiser und Putz von der Wand gebröckelt war, öffnete die WG die Tür. Sie seien eingenickt, sagten sie mit kleinen Augen. Den Schlaf möchte ich haben, murmelte mein Freund. Die Polizisten verließen erschöpft das Haus. Wir tranken einen Schlaf- und Nerventee und legten uns wieder ins Bett. SANDRA NIERMEYER