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Archiv-Artikel

„Täuschung“ für die einen, „Tugend“ für die anderen

Ein Video schürt Streit um den Missbrauch des Symbols des Roten Kreuzes bei der Betancourt-Befreiung in Kolumbien

BERLIN taz/dpa ■ Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe bemüht sich, den neu aufgeflammten Streit um die peinlichen Begleitumstände der Befreiung der Farc-Geisel Ingrid Betancourt und 14 weiterer Geiseln Anfang Juli herunterzuspielen. Mehrere Soldaten des Spezialkommandos hatten dabei die Logos des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) sowie der Fernsehsender Telesur und Ecuavisa getragen, um bei den Guerillakämpfern den Eindruck einer humanitären Mission zu erwecken – mit Erfolg: Die Bewacher von Betancourt und der anderen Geiseln fielen auf die Täuschung herein und setzten sich freiwillig in den Hubschrauber – um dort dann festgenommen zu werden.

„Bei solchen Aktionen gibt es Dinge, die man nicht machen darf“, sagte Uribe jetzt in einer Ansprache vor der Armee, „und es gibt auch strategische Dinge, die man nicht sagen darf.“ Damit spielte er auf Videoaufnahmen an, die dem Fernsehsender RCN zugespielt wurden. Darauf ist zu sehen, dass ein Mitglied des Befreiungskommandos das Symbol schon vor Beginn der Aktion trug. Das belegt, wie gezielt die Soldaten den Einsatz der Symbole vorbereitet hatten.

Verteidigungsminister Juan Manuel Santos hatte dies gerechtfertigt, die Weitergabe des Videos jedoch als „Landesverrat“ gegeißelt. Direkt nach der Befreiung hatte die Regierung hingegen behauptet, es seien keine Symbole für die Täuschung der Rebellen missbraucht worden. Als dann zwei Wochen später erste Informationen über den Gebrauch des Rotkreuz-Symbols an die Öffentlichkeit gerieten, hatte Uribe erklärt, ein Soldat habe das Symbol „angesichts der großen Zahl an Rebellen aus Angst“ spontan und entgegen ausdrücklicher Befehle benutzt.

Kritiker sagen, durch die Täuschung werde die Arbeit von Helfern und Reportern im kolumbianischen Krieg zukünftig erschwert. Uribes Berater und Chefideologe José Obdulio Gaviria verteidigte sie dennoch als „Tugend“: „Nicht einmal der heilige Franziskus bestreitet, dass ein Staat den Feind täuschen darf“, sagte Gaviria. Im Übrigen gehöre das Logo der Hilfsorganisation eigentlich dem US-Pharmakonzern Johnson & Johnson.

Der Völkerrechtler Alejandro Valencia Villa sieht das ganz anders: Nach der Genfer Konvention stelle das Vorgehen des Militärs den Tatbestand der „Perfidie“ und somit einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht dar.

Nun möchte sich der Präsident mit einem Einsatz kolumbianischer Soldaten in Afghanistan revanchieren, zunächst bei der Suche von Minen und bei dem Einsatz gegen den Mohnanbau. „Man hat uns um Hilfe in Afghanistan gebeten“, sagte er am Donnerstag.

Mit der Ankündigung wolle die Regierung von dem Problem mit dem Roten Kreuz ablenken, vermutet der Politologe Pedro Medellín. Der liberale Senator Héctor Elí Rojas nennt das eine „schlechte Außenpolitik“ und mahnt: „Unsere Nachbarn sind auch auf Distanz zu uns gegangen, weil wir die Kriege in Irak und Afghanistan unterstützen. Deswegen sind wir in Lateinamerika das hässliche Entlein“.

GERHARD DILGER