: Das Geschäft mit der Nostalgie
Mit der Pferdekutsche durch Mitte zu fahren ist unter Touristen große Mode – und für Kutscher wie Manuela Herold ein gutes Geschäft. Tierschützer nennen das „Tierquälerei“
Vorsichtig führt Manuela Herold* ihre weiß-graue Araberstute Polly und das braune Reitpony Fliska aus dem Hänger. Das Geschirr hat sie den beiden bereits in Ernsthof, einem kleinen Dorf in der Nähe von Strausberg, angelegt. Hier, auf dem gekiesten Parkplatz zwischen Hauptbahnhof und Bundeskanzleramt, fügt sie jetzt Mundstücke und Trensen ein.
Manuela Herold streicht die Hufe mit Fett ein, schließt die letzten Riemen, die Pferde und Deichsel verbinden. Dann setzt die blonde Endzwanzigerin ihren grauen Zylinder auf und steigt auf den überdachten Kutschbock der dunkelrot-melierten Droschke. Sie macht einen Schnalzer, die Stuten setzen sich in Richtung Brandenburger Tor in Bewegung. Es ist fünf Uhr nachmittags, für das Gespann beginnt der Arbeitstag.
Hufgeklapper und Pferdeschnauben hört man inzwischen überall in Berlin, wo es Plätze mit vielen Touristen gibt. Vor dem Hauptbahnhof, am Gendarmenmarkt, am Lustgarten und am Pariser Platz warten historische Droschken auf Kundschaft. Ab 33 Euro für die halbe Stunde bieten die Kutscher nostalgische Fahrten durch Mitte an, oft ist eine kurze Stadtführung inklusive.
„Noch vor einem Jahr standen wir alleine am Pariser Platz“, erzählt Manuela Herold. Klaus Winkelmann, ihr ehemaliger Kutschlehrer, sei einer der Ersten gewesen, als er vor drei Jahren mit seiner Droschke in die Stadt kam. Die Hoffnung auf ein gutes Geschäft lockt nun immer mehr Pferdebesitzer aus dem Umland an. Diesen Frühling hat sogar ein Droschken-Unternehmer aus Wien eine Filiale in Berlin eröffnet. Vor allem Touristen und Geschäftsleute, etwa aus dem Hotel Adlon, nutzen das Angebot. „Gestern saß die Gattin des paraguayanischen Botschafters bei mir in der Kutsche“, erzählt die Kutscherin. Vergangenes Wochenende hat sie gemeinsam mit sieben anderen Gespannen eine Hochzeitsgesellschaft den Ku’damm heruntergefahren. „Das Geschäft lohnt sich“, sagt Manuela Herold. Wie viel genau sie verdient, will sie aber lieber nicht verraten – auch wegen der Konkurrenz.
Die Abendsonne bescheint den Pariser Platz, ein spanisches Pärchen steigt in die Kutsche. Manuela Herold hält ihren Pferden noch einmal einen Eimer Wasser unter die Nase. Die strecken desinteressiert die Köpfe weg. „Mehr als 40 Liter am Tag trinken Pferde eben nicht“, sagt sie laut und blickt herausfordernd zu einem Mann hinüber, der mit einem Pferd aus Pappe vor der Brust vor der Kutsche auf und ab spaziert. „Für euch ist es Tradition, für uns ist es Quälerei“, steht auf dem Pappschild. Immer wieder hat es in letzter Zeit Beschwerden und Anklagen von Tierschützern gegeben. Stundenlang müssten die Tiere in der Mittagshitze brüten und bekämen weder Futter noch Wasser, so die Vorwürfe.
„Quälerei? So ein Schwachsinn“, sagt Manuela, sieht noch einmal verächtlich auf den Mann mit dem „albernen Pappschild“, wie sie sagt. Sie tippt mit dem Ende der Peitsche auf einen der Pferderücken, das Gespann zieht an. „Meine Pferdchen gehen mir über alles. Die Tierschützer sollten sich lieber um die wirklichen Probleme wie Massentierhaltung kümmern.“ Sie lenkt die Stuten am Adlon vorbei und fährt über Unter den Linden zum Gendarmenmarkt. Als ein BVG-Bus die Kutsche rechts überholt, legt Fliska, das deutsche Reitpony, die Ohren an, schüttelt unruhig den Kopf und beginnt zu traben. Sie wird immer schneller und galoppiert kurz an. „Schsch“, macht Michaela leise, Sekunden später hat sie die Situation wieder unter Kontrolle, die Tiere laufen ruhig die Straße entlang. „Fliska hasst Busse“, erklärt die Kutscherin und räumt ein: „Natürlich ist das für die Pferde ein anstrengender Job.“ Aber noch viel schlimmer sei, die Tiere einfach unbeschäftigt auf der Koppel stehen zu lassen. „Pferde sind eben Nutztiere“, sagt sie. „Sie wollen arbeiten und das ist auch ihre Aufgabe.“
Marcel Gäding, der Vorstandssprecher des Berliner Tierschutzvereins, sieht das anders. Er würde die Kutschen am liebsten ganz aus der Innenstadt verbannen. Das „Gerede von Arbeitsplätzen“ lasse er in dem Fall nicht gelten. „Da sind uns die Tiere wichtiger“, so Gäding.
Yvonne Gall, Tierärztin am Veterinäramt Mitte, will so weit nicht gehen: „Man muss aufpassen, dass die Diskussion um die Berliner Kutschen nicht auf eine unsachliche Ebene abgleitet“, sagt sie. Bei vielen Kutschbetrieben könne man nicht von Tierquälerei sprechen. Allerdings gebe es in den Bezirken keine einheitlichen Regelungen und Kontrollen zum Wohl der Tiere. „Stellplätze, Auflagen für die Kutscher wie Personenbeförderungsscheine und Maßstäbe für die Versorgung der Pferde, das ist alles völlig ungeklärt“, so Gall. Auch wisse niemand, wie viele Kutschen überhaupt in die Stadt kämen, weil es bisher keine Registrierungspflicht gebe. „Wir stehen hier vor einer neuen Situation. Dass wir so viele Kutschen in Berlin haben, ist ein ganz neues Phänomen.“ Im September will das Veterinäramt gemeinsam mit anderen Behördenvertretern und der Polizei über verbindliche Regelungen für Kutschfahrten in Berlin beraten.
Auch Christian Tänzler, der Sprecher der Berliner Tourismus GmbH, hat keine gesicherten Zahlen zu den Kutschfahrten. „Da ist sehr viel spontanes Geschäft dabei. Von unserer Seite gibt es kaum Kooperationen, etwa bei der Vermittlung von Touristen.“ Auch seien die Kutscher nicht organisiert, es gebe keine festen Absprechpartner.
Um elf Uhr nachts verabschiedet Manuela ihre letzten Fahrgäste. Sie fährt zurück zum Hänger, füllt die Futternetze mit Heu und spannt die Pferde aus. „Oft komme ich erst nach Mitternacht nach Hause“, erzählt sie. In einem alten Bauernhaus hat sie eine kleine Wohnung und Stellplätze für ihre Pferde gemietet. „Die Pferde kommen dann sofort auf die Koppel hinter dem Stall. Das Erste, was sie dort immer machen, ist, sich im Staub zu wälzen.“ FRANKA NAGEL
*Name geändert