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Archiv-Artikel

Das Falsche als Wahrheit der Kunst

Ob sie ein Gesicht maskieren, die Wahrheit oder beides, ist egal: Das Spiel mit Täuschung und Illusion betrieb einst der Historienmaler Adolph von Menzel, wie es derzeit der gefeierte Lois Renner tut. Die Hamburger Kunsthalle hat die beiden in einer Ausstellung zusammengebracht

VON PETRA SCHELLEN

My home ist my castle. Home? Für den Künstler ist das Atelier das Nest, in dem er Inspiration sucht – ein Symbol für den Gedanken-Raum gewissermaßen. Und zugleich ein Requisitenspeicher: ein Fundus mit Versatzstücken, Auszügen, Symbolen jener Wirklichkeit, die er in seiner Kunst verwerten will.

Natürlich konnte sich Adolph von Menzel, Historienmaler des 19. Jahrhunderts, nicht sämtliche Requisiten des „Flötenkonzerts Friedrichs des Großen in Sanssouci“ oder des „Eisenwalzwerks“ im Atelier aufbewahren. Aber er konnte Versatzstücke hineinlegen. Konnte sammeln, was ihm als Symbol, als pars pro toto sinnvoll erschien, konnte wie im Reagenzglas verdichtet Versuchsanordnungen erstellen. Und so leuchtet es sogleich ein, dass der Blick ins Interieur dieses Ateliers, ins quasi wissenschaftliche Versuchslabor, interessanter sein könnte, als die schiere Bewunderung der oft pompösen Historiengemälde des Malers.

Diesem Gedanken ist man in der Hamburger Kunsthalle nachgegangen und hat einen interessanten Versuch gestartet: Zwei Ateliergemälde Menzels wurden zusammengebracht und mit Atelierbildern des zeitgenössischen österreichischen Künstlers Lois Renner konfrontiert.

Das erste Menzel’sche Atelierporträt entstand 1852 und hängt normalerweise in Berlin; das zweite, datiert auf 1872, gehört der Kunsthalle. Das ältere zeigt zwei wie vom Himmel herab hängende Arme, die auf eine Palette weisen, als warte der Künstler auf göttliche Inspiration – um im letzten Moment zu erkennen, dass er selbst der Ideengeber ist. Das zweite Ateliergemälde zeigt in scharfen Caravaggio-Schatten ein Sammelsurium an der Wand: einen weiblichen Torso, zwischen Totenmasken und modellierten Köpfen; auch ein Hundshaupt ist dabei. Willkür? Der Blick in ein Opernpublikum, die ihrerseits gaffenden Bildbetrachter spiegelnd?

Eine subtile Ironie kann man dem Bild nicht absprechen; ein Panoptikum menschlicher Antlitze ist dies, und die sind weder nur weise noch nur schön. Die Gleichwertigkeit aller Menschen habe Menzel hier demonstrieren wollen, sagen manche Kunsthistoriker. Sein Atelier als Fundus habe er vorführen wollen, zugleich die Wand zur Bühne gemacht – fast wie in antiken Dramen, die ja stets mit Masken arbeiteten. Muss das auch der Künstler? Ist Gemälde – besonders das herrschaftliche Auftragswerk – immer auch Verkleidung?

Fragen, die das auf den ersten Blick so stur sortierte, ein bisschen zu theatralisch arrangierte Bild aufwirft, das Verschiedenes sein mag, aber eines nicht: stupide Selbstbespiegelung des Malers. Eher ist es Abbild seiner Materialien, seines Arbeitsstils, seiner Konflikte.

Das Absurde ist allerdings, dass die Kuratoren es hierbei nicht belassen, sondern meinen, Menzel ergänzen, kontextualisieren, rahmen zu müssen: mit Werken des 1961 in Salzburg geborenen Lois Renner.

Denn auch Renner hat Ateliersituationen gemalt und mit einer Medienmixtur gearbeitet, die der Menzel‘schen Verflechtung der Genres Malerei und Skulptur vergleichbar ist. Trotzdem unterscheidet sich das Prozedere Renners erheblich von dem Menzels, und die Parallelen sind eher schwach.

Renner hat sein Atelier im Maßstab eins zu zehn nachgebaut, es fotografiert und gemalt, um danach die Bilder digital zu verschmelzen. Das erzeugt eine bizarre Verschiebung der Größenverhältnisse: Manchmal glaubt man, auf den monumentalen Bildern mit dem Kopf direkt gegen die Decke des imaginären Raums zu stoßen, wie in einer zu klein geratenen Puppenstube. Auch innerhalb der Bilder verschieben sich die Proportionen: Ein winziges Schlagzeug steht in einem riesigen Regal. Zudem ist die Architektur labil: Wände bestehen aus lose aneinander gelehnten Brettern; der tragende, zentrale Holzbalken läuft in einen Pinselstrich aus.

Das ist die zweite Renner‘sche Finesse: Malerei und Fotografie so zu kombinieren, dass eine echte optischer Täuschung entsteht. Auch der Surrealismus lässt kurz grüßen, wenn etwa die Hälfte der fotografierten Küche von einer Staffelei verdeckt wird, die das Fotografierte kopiert. Aber natürlich nicht ganz exakt, und so kann man wählen: gefällt einem die fotografische oder die malerische Realität besser; was ist überhaupt objektiv?

Renner treibt das Spiel mit Illusion und Realität zur Perfektion und stellt unter der effekthascherischen Oberfläche sehr ernst die Frage nach der Authentizität des Blicks – speziell im digitalen Zeitalter. Lässt sich den Augen noch trauen? Ist die Fotografie manipuliert? Wo findet man Halt auf der Suche nach Wahrheit; was trägt noch als Beweismittel?

Fragen, die nicht neu sind, aber immer wieder aus dem Blick geraten: Denn die Versuchung, dem Foto zu glauben, ist schlichtweg zu groß. Und siehe da, in diesem Punkt treffen sich die beiden Künstler, Lois Renner und Adolph von Menzel tatsächlich: Denn was für Menzel die Maske, ist für Renner die Scharade der optischen Illusion.

Zugegeben: das ist eine schmale Brücke zwischen den beiden so disparaten Künstlern. Wenn sie aber der Reflexion über Maskierungen und Täuschungen dient, so hat sie nicht wenig zu tragen.

Die Ausstellung ist bis zum 2. 11. 2008 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen