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Archiv-Artikel

ernste hilfe von RUDOLF WALTHER

Kinder, sagt der Volksmund, stellen schlaue Fragen. „Mama, wieso heißt der Mann Herr Löwe? Er hat doch nicht vier Beine, keine Mähne und keinen Schwanz.“ Wie Personen, Flüsse, Berge, Landstriche und so weiter zu ihrem Namen kommen, ist sprachwissenschaftlich ein ziemlich weites Feld. Die Definitionen führen da auch nicht unbedingt weiter. „Ein Eigenname ist ein Wort oder eine Wortgruppe, deren eigentlicher Zweck anerkanntermaßen die Identifikation ist. Er erfüllt diesen Zweck, ohne dass irgendeine Bedeutung berücksichtigt wird, die diesem Lautkomplex von Anfang an innewohnte oder die er durch Assoziation mit dem bekannten Gegenstand erlangt hat“ (Alan Gardiner). Klar – wer Mondkalb heißt, muss ebenso wenig eines sein wie einer ein Schwein, der Schweinsteiger heißt.

Flurnamen mögen es manchmal deftig und werden deshalb oft aufwertend umgebildet, wie die Linguisten sagen. Eine Gegend, die immer schon „Arschkerbe“ hieß, wird dann plötzlich zur „Talstraße“ geliftet. Oder eine Stadt wie Chemnitz wird aus rein politischen Motiven für ein paar Jahrzehnte zur Karl-Marx-Stadt – und wieder zurück.

Vornamen verpassen einem die Eltern, für den Eigennamen dagegen kann man gar nichts. Das ist der gute Grund dafür, warum Satire alles darf, nur nicht über Eigennamen spotten oder über deren Herkunft spekulieren. Das vergessen jüngere und ältere Satiriker leider oft, obwohl der Grundsatz von den Meistern der „Neuen Frankfurter Schule“ – F. K. Waechter, Chlodwig Poth und Robert Gernhardt – immer hochgehalten wurde. Der Lallbackensound der Sportreporter und des Boulevards („Schweini“, „Schumi“, „Waldi“) war unter ihrem intellektuellen Niveau und ästhetischen Anspruch.

Vollends unübersichtlich wird es bei den Flurnamen und Bezeichnungen für Berge, Landschaften, Flüsse und Waldgebiete. Die Flurnamenforschung (Mikrotoponymie) arbeitet sich seit etwa zweihundert Jahren durch einen Urwald. Aber ob der Faulbach und die Salzach wirklich nach der Eigenart des Wassers benannt wurden, weiß niemand so genau.

Bei der Benennung von Bergen scheint man sich öfters an deren äußere Form gehalten zu haben. Der „Mönch“ im Berner Oberland jedenfalls sieht aus wie ein vollgefressener Mönch in seiner Kutte, das „Geschpaltenhorn“ hat zwei Gipfel und die „Ebene Fluh“ keinen Gipfel, sondern ein eisbedecktes Plateau.

Delikater liegen die Dinge bei der „Jungfrau“ (4.158 Meter). Bis zum Jungfraujoch, der höchsten Bahnstation Europas (3.471 Meter), die im Touristenslang „Top of Europe“ heißt, wurde zwischen 1896 und 1912 eine elektrische Zahnradbahn gebaut. In Schweizer Schulbüchern fungiert die Bahn als so etwas wie der Beitrag der Helvetier zu den Weltwundern.

Die „Jungfrau“ soll so heißen, weil sie bis zur Erstbesteigung als unbesteigbar galt. Der Volksmund taufte sie danach maliziös „Madame Meyer“. Die Jungfrau zu besteigen, erfordert beachtliches alpinistisches Können. Das besaßen zwei junge Engländer, aber beim Abstieg fielen sie in eine Gletscherspalte und einer mobilisierte die Rettungskräfte per Handy mit dem schönen Satz: „Help, I need a helicopter, I am in the Jungfrau!“