die gelben seiten : Weltmeister in der Disziplin „Korruption“
„Schau dich um: In Südkorea kann selbst der Präsident deswegen abgewählt werden“
Die Goldmedaillenjagd hat jetzt in China Hochkonjunktur. Das Fieber steigt und steigt und macht vor nahezu keinem Thema mehr Halt. Also auch davor nicht, welches Land in der ganzen Welt Goldmedaille gewinnen würde, wenn es um Korruption ginge. Auf der Website www.kdnet.net taucht zuerst Indien auf: Das sei ja die größte Demokratie der Welt. Damit niemand die Botschaft falsch versteht, zitiert wird sogleich aus bbs.tiexue.net die Kommentierung geliefert, wonach letztlich nicht das System, sondern die Güte der Menschen in einem Lande darüber entscheidet, wer in dieser Disziplin Anwärter auf Gold sein darf.
Nach dieser umsichtigen, in der Botschaft unmissverständlichen Darbietung geht der eigentliche Wettbewerb erst richtig los. Die Befürworter der These überhäufen den Anbringer mit Ausrufen wie „Wow!“ oder „Superposting“, derweil die Gegner gleich China nach vorne bringen: „Du meinst, dass das indische Volk selbst zugibt, jährlich 4,3 Milliarden Dollar für Bestechung auszugeben? Na dann hör zu: Bei uns werden jährlich umgerechnet über 55 Milliarden Dollar für Dienstwagen auf Staatskosten ausgegeben, weitere 300 Milliarden für Völlerei aus der Tasche der Steuerzahler. Weitere 300 Milliarden aus dem Fiskus für Tourismus aus dem Fiskus. Wie viele Milliarden für Bestechung ausgegeben werden, dazu gibt es keine Statistik. China ist Weltmeister, du Idiot!“ Oder: „Schau dich um: Südkorea ist als korruptes Land bekannt. Aber dort kann selbst der Präsident deswegen abgewählt werden.“ Oder: „Bei uns unterschlägt selbst der Rektor einer einzigen Grundschule schon umgerechnet etwa 16 Millionen Dollar. 3.000 Kreise mal 3 Grundschulen pro Kreis gleich 144 Milliarden. Da erübrigt sich jeder Streit!“
Mitten im Wettbewerb um den eigentümlichen Weltmeistertitel taucht immer wieder eine blau markierte Zeile auf: „Diese Kommentierung wird von der Redaktion unterdrückt!“ Bis einem der Diskutanten der Kragen platzt: „Bestich doch die Redaktion, und zwar bitte gleich alle im Netz, auf dass wir frei schreiben können! Du wirst sehen, welches Land korrupter ist: das demokratische Indien oder unser Vaterland ganz ohne!“ SHI MING
Shi Ming, 51, kommt aus Peking und lebt als Journalist in Köln