Homöopathie

Kügelchen für Moskau

Ostbahnhof. Demnächst fährt der Zug nach Moskau ein. Ich stehe auf dem überfüllten Bahnsteig, in jeder Hand eine Tüte mit Medikamenten im Wert von 1.500 Euro. Was höchst kriminell klingt, ist tendenziell legal, die Pillen hatte ich kurz zuvor in einer Apotheke am Hackeschen Markt gekauft (eine Packung Fruchtgummis gab’s gratis dazu). Nun warte ich auf eine Schaffnerin namens Tatjana. In Moskau reicht sie die Präparate an eine Praxis weiter, in der ein Heilpraktiker die größtenteils homöopathischen Mittel zu überteuerten Preisen an Millionärsgattinnen verkauft, die überhaupt nicht krank sind. Da die russische Post von Kleptomanen betrieben wird, bleibt nur dieser Weg. Schaffner kann man zurückverfolgen, Postboten nicht.

Während mir all diese Dinge durch den Kopf schießen, fährt die Bahn ein und die Masse drängt sich um die Schaffner. Jeder hat etwas mitzugeben, von Marmelade über Kinderwagen bis zu Einbauküchen. Sie drängeln und schubsen, fluchen und jammern, jeder will sein Paket verstaut wissen. Die Aufenthaltszeit beträgt sieben Minuten. In letzter Sekunde finde ich Tatjana.

Natürlich spricht sie kein Deutsch (mein Russisch ist eine Zumutung) und ihr Gesicht verrät, dass sie eine gewisse Machtposition besetzt. Gebieterisch delegiert sie Fahrgäste und Fracht. Sie will die Medikamente, nur von Geld weiß sie nichts. Als ich ihr mehrere russische Schimpfwörter an den Kopf werfe, findet sie es doch noch und kurz darauf stehe ich schweißdurchnässt und ein riesiges Geldbündel umklammernd in der Vorhalle des Ostbahnhofs. Nie wieder werde ich meinem russischen Freund einen „kleinen Gefallen“ tun, aber auf einen „kurzen Wodka“ lasse ich mich dann doch einladen. JURI STERNBURG