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Archiv-Artikel

„Jeder hat eine Version der Geschichte“

Das kollektive Gedächtnis am Telefon erforschen: Das New Yorker „Nature Theater of Oklahoma“, zum Sommerfestival auf Kampnagel und den Salzburger Festspielen eingeladen, rekonsturiert Stücke und Filme aus der Erinnerung

NATURE THEATER OF OKLAHOMA

Das „Nature Theater of Oklahoma“ gründete das Regieduo Kelly Copper und Pavol Liska 2002 in New York. Seit eine Gruppe von europäischen Kuratoren ihr Stück „No Dice“ Anfang 2007 beim New Yorker „Radar Festival“ sah, touren sie durch ganz Europa – mit „Romeo and Juliet“ sind sie nach dem Sommerfestival auf Kampnagel bei den Salzburger Festspielen (19. – 21. 8.) und dem Noorderzon-Festival in Groningen (25. – 27. 8.) zu Gast. Ihre Stücke setzen ganz auf den Performer, sie verwandeln alltägliche Bewegungen in Choreografien („Poetics – A Ballett Brut“, 2006), machen aufgenommene Telefongespräche zum Bühnentext („No Dice“, „Romeo and Juliet“) und reflektieren nebenbei ein Stück Kulturgeschichte, wie im „Rambo Solo“ (2008). Eine unbestritten eigenwillige Abmischung, die höchst unterhaltsam und von leichter Hand inszeniert daherkommt. ESTHER BOLDT

INTERVIEW ESTHER BOLDT

taz: Kelly Copper und Pavol Liska, Sie arbeiten bereits seit 1995 zusammen, haben aber zwischendurch vier Jahre eine Pause vom Theater gemacht – 1998 bis 2002. Warum?

Pavol Liska: Es fühlte sich an, als hätte die Kunst das Haus verlassen.

Kelly Copper: Wir waren zu neunzig Prozent mit Bürokratie und Fundraising beschäftigt, das waren uns zu viele Kompromisse. Dann haben wir uns auf Fotografie, Video und Film konzentriert, sind unabhängiger geworden und ich habe endlich wieder gewusst, warum ich Kunst mache. Aber wir beide haben das Live-Moment des Theaters vermisst. Als wir wieder damit anfingen, ging es darum, die widrigen Bedingungen in New York zu akzeptieren.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Liska: Wir wollten nicht länger ein Projekt erträumen und dann hart darum kämpfen, es genau so umsetzen zu können, sondern mit dem arbeiten, was wir haben. Zu Anfang waren das zwei Schauspielerinnen, zwei Stühle und zwei Lampen.

Und so sind Sie zu dieser reduzierten Form gekommen? Requisiten und Bühnenbild gibt es bei Ihnen ja kaum, es konzentriert sich alles auf die Präsenz der Darsteller.

Liska: Wir wollten zum ersten Impuls zurückkehren, Theater zu machen. Was ist das Vergnügen daran? Wenn es ein Spaß ist, ein tiefgründiger Spaß, bei dem es nicht nur darum geht, eine gute Zeit zu haben, sondern die tiefe, notwendige Freude, mit anderen Menschen einen Raum zu teilen und zu versuchen, etwas zu kommunizieren – brauchst du dann wirklich ein großes Bühnenbild? Brauchst du viele Schauspieler, um die Geschichte von „Rambo“ zu erzählen oder die von „Romeo and Juliet“?

Welche Rolle spielt das Publikum dabei?

Liska: Wir denken sehr viel darüber nach, was es mit ins Theater bringt und wo wir es positionieren. Ich meine, wir sind fünf Leute in der Company und 200 von ihnen – offensichtlich sind die Zuschauer wichtig. Zugleich möchten wir nicht nur unsere künstlerischen Egos repräsentieren, viel mehr interessiert uns das kollektive Bewusstsein, das kollektive Gedächtnis.

Sie haben Ihre Company nach einer Theatergruppe in Kafkas Erzählung „Amerika“ benannt. Warum?

Liska: Das „Nature Theatre of Oklahoma“ bei Kafka ist ein imaginäres Theater, es ist nur idealisiert, aber es ist öffentlich, jeder hat darin seinen Platz.

Aber Sie selbst richten sich doch stark nach den realen ökonomischen Möglichkeiten. Machen Sie damit nicht das genaue Gegenteil eines imaginären Theaters?

Copper: Ja, für uns gibt’s nicht nur Engel und Trompeten. Aber beim „Nature Theatre“ in Kafkas Geschichte findet der Protagonist endlich eine Arbeit, es gibt jedem Arbeit. Auch wir möchten über uns selbst hinausgehen, Öffentlichkeit herstellen – mit den Telefonanrufen, beispielsweise.

Für „Romeo and Juliet“ haben Sie 30 Freunde und Verwandte angerufen und sie gebeten, Ihnen die Geschichte von Romeo und Julia zu erzählen. Auch „No Dice“ basiert auf mitgeschnittenen Telefonaten, die die Schauspieler auf der Bühne über iPod hören und fast gleichzeitig wiedergeben. Warum wählen Sie diese Form?

Liska: Wir wollten zur mündlichen Tradition des Theaters zurückkehren, schließlich lesen die Schauspieler nicht auf der Bühne. Es schien logisch, dass der Text kein geschriebener ist.

Copper: Im Idealfall hört man das Atmen der Person, die kleinen Pausen, die sie macht, die Art und Weise, die sie spricht.

Können die Schauspieler ihren Text nicht irgendwann auswendig?

Liska: Nein. Es ist eine andere Form der Präsenz, bei der es nicht um Reproduktion geht, sondern um Aufmerksamkeit.

Was interessierte Sie an Shakespeares „Romeo and Juliet“?

Liska: Dass es jeder kennt, sogar, wenn er es nie gelesen hat. Jeder kann seine Version der Geschichte erzählen, greift dabei auf das kollektive Gedächtnis zurück, aber vor seinem persönlichen Hintergrund. Seine Erinnerungen beziehen sich nicht notwendig auf Shakespeare, sondern auch auf andere Quellen des Mythos. So geht es um Mythologie und darum, welche Rolle sie in unserem Leben spielt. Es gibt diese Version im Stück, in der es plötzlich um Ussama Bin Laden, 9/11 und Anna Nicole Smith geht. Und das zu entdecken hat uns interessiert.

Auf Kampnagel wurden Sie als das „neue heiße Ding aus New York“ angekündigt, die europäischen Kuratoren reißen sich förmlich um Sie. Wie gehen Sie mit diesem großen Erfolg um?

Liska: Es ist immer wichtig, bereit zu sein, zu scheitern. Ich bin mir nicht sicher, wo die Grenze zwischen Erfolg und Scheitern verläuft, aber ein Großteil unserer Arbeit dreht sich um das Scheitern. „No Dice“ beispielsweise ist ein gescheitertes Stück, denn das Material, das wir verwenden, ist im traditionellen Sinne nicht gut.

Also machen Sie einfach weiter wie bisher?

Liska: Ja. Wir haben beschlossen, strikt unserer Intuition zu folgen. Wir möchten keine Ausrede haben, nicht zu arbeiten. Am Ende unseres Lebens wird uns Gott nicht entschuldigen damit, dass wir talentiert waren, aber einfach keine Chance hatten. Er wird unsere Arbeit bewerten, und dann kommen wir entweder in den Himmel oder in die Hölle. Alles andere zählt nicht.