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Archiv-Artikel

Ich war noch niemals in New York …

… aus wirklich weltbewegenden Gründen. Die Geschichte ist wahr, lassen Sie mich erzählen.

Mein Name ist Pedram Shahyar, ich bin Exiliraner und 35 Jahre alt. 1986 landete ich in einem Flüchtlingsheim im hessischen Bad Nauheim. Viele meiner Landsleute lebten dort, und fast alle warteten sehnsüchtig auf eine Greencard. Sie waren betäubt vom amerikanischen Traum. Zwischen den Kindern entwickelte sich im Heim sehr schnell eine Gemeinschaft, deren Zentrum der Tischtennisraum war. Doch so zügig sich die Freundschaften gefunden hatten, so schnell verloren sie sich – denn dieses Heim war eine Station für den Transit in die USA. Die anderen Jungs erzählten mir immer ganz aufgeregt von der anstehenden Reise und dem neuen Leben, das auf sie wartete. Meine Familie aber hing anderen Träumen nach: Deutschland war das Zentrum für linke Exilorganisationen, hier wollten wir hin, waren nun da, und hier sollten wir bleiben. Mir blieb einzig eine unerfüllte Amerikasehnsucht.

Später, im Erwachsenenalter, wollte ich es wissen. Was war es, was die Iraner damals alle in die USA trieb? Und wie sah sie aus, die Heimat von Jim Jarmusch, Bob Dylan und Tom Waits, die ich so bewunderte? Ich buchte bei United Airlines einen Flug nach New York.

Alles war perfekt: Gemeinsam mit meiner Schwester Asadeh saß ich bereits im Flugzeug. Nicht nur die Maschine auf dem Frankfurter Flughafen war kurz vor dem Abheben, auch ich war gewillt, mich in andere Sphären katapultieren zu lassen. Den Nadelstreifenanzug im Gepäck, wollte ich tief eintauchen in Rausch und Wahnsinn des New Yorker Nachtlebens und „sozializing bis zum get no“ betreiben. Yeah!

Dass meine Geldkatze zu dieser Zeit magersüchtig war, störte mich nicht. Notfalls wollte ich so leben wie Dean Moriarty aus Jack Kerouacs legendärem Roman „On the Road“. Wie er hätte ich in feuchten Abrisshäusern geschlafen und – das steht allerdings nicht im Buch – mich von „Roadkill Jambalaya“ (einem aus totgefahrenen Tieren und Reis zusammengerührten Eintopf) ernährt. Und trotz allem immerzu gebrüllt: „Die einzig wirklichen Menschen sind für mich die Verrückten, die verrückt danach sind, zu leben, und nach allem gleichzeitig gieren!“

Doch es kam anders. Also: Das Flugzeug scharrte auf der Startbahn schon ungeduldig mit den Hufen. Zuerst nuschelte der Pilot „Welcome on board“ in den Lautsprecher, dann nuschelte er lange gar nicht mehr. Und schließlich kam die Schreckensnachricht: Soeben sei ein Flugzeug in das World Trade Center gerast und deshalb seien jetzt alle Flüge nach New York gecancelt. Es war der 11. September 2001. „Yes!“, war meine erste Reaktion, und ich ballte die Faust. Als wir aber aussteigen mussten und ich in der Wartehalle die Fernsehbilder von den brennenden Twin Towers sah, stöhnte ich nur „Shit!“.

Vom erstatteten Geld für die Flugtickets fuhren meine Schwester und ich zum Campen nach Portugal, denn als Staatsangehörigen eines „Schurkenstaats“ war uns eine Reise in die USA nicht mehr ganz geheuer. Meine Präsenz auf der Passagierliste blieb übrigens nicht folgenlos – die ließen sich nämlich die amerikanischen Terrorfahnder aushändigen. Ich bin nicht nur studierter Germanist, sondern auch politisch engagiert. Als Attac-Koordinator reiste ich 2003 mit einem Sonderzug zum G-8-Gipfel nach Évian und wurde an der schweizerischen Grenze abgefangen. „Ihr Name“, so die Grenzbeamten, „steht auf einer Verdächtigenliste des FBI.“ Weiterreisen durfte ich trotzdem. Im iranischen Traumland USA bin ich allerdings bis heute nicht gewesen. Dafür zog ich noch im Jahr der Anschläge nach Berlin und zelebrierte hier allen Rausch und Wahnsinn, den ich in New York nicht erleben durfte. Yes!

AUFGEZEICHNET VON SASKIA VOGEL