: Stricken ist das neue Töpfern
Stricken ist das meditative Gegenstück zum Multitasking und anderswo bereits der letzte Schrei. „Handmade“ in der Auguststraße besetzt die Nische mit feinen Garnen
Sicher ist: Stricken ist das neue Töpfern. Gestritten wird lediglich darüber, ob das Phänomen in Brooklyn, Toronto oder Kopenhagen seinen Anfang nahm: Es muss jedenfalls in einem dieser hippen Viertel gewesen sein, in denen vor ein paar Jahren noch die Burn-it-yourself-Töpfereien aus dem Boden schossen. Ebendort werden junge Damen – und Herren – nun immer öfter mit klickenden Nadeln beim Café latte gesichtet, auf dem Schoß einen halbfertigen Schal statt des Macbooks. Vielleicht braucht die vielzitierte digitale Boheme jetzt einfach mal ein bisschen Handarbeit: eins links, eins rechts, eins fallenlassen.
Tanja Lay weiß von dieser Entwicklung, doch für sie war der selbstgestrickte Pullover eigentlich nie weg: Seit den Neunzigern beschäftigt sie sich mit verschiedenen Mustern, Techniken, Garnen, Nadeln – und hat jetzt in der Auguststraße in Mitte genau den Laden eröffnet, der ihr in Deutschland immer gefehlt hat. Nebenbei leitet sie, sehr bezeichnend, noch eine Medienagentur. „Der Garnmarkt hat sich wahnsinning verändert“, sagt Tanja, und man beginnt zu ahnen, dass die vermutete Nische irgendwie größer ist als gedacht. Bei „handmade“ gibt es, und hierin besteht neben dem schicken Design einer der Hauptunterschiede zu Gittes Strickstube, Wolle aus aller Welt: Sojagarn, Yakgarn, Maisgarn, Bambusgarn, Kaninchengarn, Kamelgarn, Edelstahlgarn, Milchgarn, Lammgarn.
Tanja Lay bekommt beim bloßen Aufzählen eine Gänsehaut, sagt sie. Alles darf und soll vom Kunden befühlt werden. So ertappt man sich mitunter dabei, ehrfürchtig filigrane Testschals zu betasten. Der Strick- und Häkelboom mag letztlich konservativ besetzt sein. In Norwegen zum Beispiel gab es in den letzten Jahren ein ganzes Gespinst rückwärtsgewandter, naiver Tendenzen vor allem in Literatur und Mode. Alles drehte sich um Kindheitserinnerungen, Waffelbacken nach Omas Rezepten – und natürlich um die selbstgestrickte Mütze als Must-have.
Davon abgesehen, spricht aber natürlich nichts dagegen, seine Klamotten selber zu machen. Und letztlich ist Stricken wohl auch die Antithese zum Multitasking und damit angenehm gegenläufig zu dem, was man sonst den ganzen Tag über tut. Tanja Lay findet Stricken und Häkeln sehr meditativ, „ähnlich wie Yoga“ – womit wiederum der Bogen zum Lifestyle-Segment geschlagen wäre.
Was früher Handarbeitskreis hieß, nennt sich jetzt übrigens Stitch’n’Bitch Evening. Zumindest im Knitcafé in Toronto, nicht in der Auguststraße. Aber auch dort sollen demnächst Kurse angeboten werden, in denen man das lernt, was unsere Mütter sich von unseren Großmüttern nicht beibringen lassen wollten. DANA BOENISCH
handmade, Auguststr. 91, Di.–Sa. 14 bis 20 Uhr, www.handmadeberlin.com