: Das war Olympia
Ein erstes Resümee von Andreas Rüttenauer und Markus Völker
Paris zeigt Flagge. Während des Fackellaufs 2012 prangt der walisische Drache am Hôtel de Ville. Proteste von Separatisten aus Wales stören immer wieder den Lauf – er muss abgebrochen werden. Fortan geht das Feuer seinen Weg nach London nur noch durch den Commonwealth. Die letzten Meter spurtet Sir Tim Henman: Der Siegertyp aus Oxford beschließt mit dem Entzünden der Flamme eine Eröffnungsfeier, die deutlich bescheidener ausfällt als in Peking. Amy Winehouse und Pete Doherty singen die offizielle Hymne „Ode to a clean sport“ – musikalisch begleitet von Sir Elton John und Sir Keith Richards. Während der Spiele müssen immer wieder Sportstätten evakuiert werden: Schottische Nationalisten lancieren jeden Tag mindestens eine Bombendrohung. Sportlich dominieren wie erwartet die Gastgeber: Dreifachtriumphen im Tischtennis folgen Siege im Basketball und Gewichtheben. Kurzfristig werden zudem weltweit beliebte Sportarten wie Cricket, Polo oder Rugby ins Programm aufgenommen, um das Zuschauerinteresse zu erhöhen. Schottische Anträge, die Disziplinen der Highland Games aufzunehmen, waren im Vorfeld abgelehnt worden.Das IOC nimmt 45.528 Dopingproben, erwischt werden aber nur fünf bulgarische Gewichtheber und vier Springpferde. Nur Platz zehn im Medaillenspiegel belegen die liberaldemokratischen Freizeitsportler aus den USA. IOC-Präsident Thomas Bach resümiert: „Es waren die besten Spiele aller Zeiten.“ Der Tross zieht weiter nach Sotschi – zu den nächsten besten Spielen aller Zeiten. JOH, JÜK
Die besten Ausreden der Spiele
1. Antje Buschschulte hat in den Schwimmwettbewerben kein Einzelfinale erreicht. Dennoch war sie mit ihrer Leistung in Peking zufrieden: „Was kann ich denn dafür, dass die Weltspitze so weit weg ist.“ Die Weltspitze kommt vielleicht auch besser mit dem Pekinger Wasser zurecht, nicht mit dem im Becken, wohlgemerkt. Buschschulte: „Das Trinkwasser ist hier destilliert und wird danach erst mineralisiert. Das ist natürlich gewöhnungsbedürftig.“
2. Laury Williams hält den Verlust des Staffelstabs im Vorlauf der 4x100-Meter-Staffel für ein unerklärliches Phänomen: „Ich werde nach Hause fahren und rausfinden, was passiert ist. Ich war mir sicher, meine Hand war dran. Vielleicht hat ja jemand eine Voodoopuppe von mir.“ Auch Torri Edwards, von der Williams den Stab übernehmen sollte, ist ratlos: „Ich habe gespürt, dass der Stab in ihrer Hand war.“
3. Jacques Rogge, der Präsident des IOC, kann nicht verstehen, dass die angereisten Journalisten es gar nicht toll finden, wenn sie die Zensur der chinesischen Internetpolizei zu spüren bekommen. Alles kein Problem: „Soweit ich es überblicke, haben Sie hier exzellente Arbeitsbedingungen.“ Ja dann.
4. Dirk Nowitzki hat sich auf Olympia gefreut wie ein kleines Kind. Deswegen durfte er sogar die deutsche Fahne zur Eröffnung tragen. Lange durfte er aber nicht Basketball spielen in Peking. Eine Niederlage gegen China bedeutete das Aus. Doch dafür konnten die Deutschen nichts: „Der Weltverband wollte China im Viertelfinale haben, und das haben sie erreicht.“
Die größten Stars der Spiele
1. Usain Bolt lief, und alle haben gesehen, welcher Sportartikelhersteller ihn mit Schuhen ausstattet. Alle haben auch gesehen, dass er sich nicht anstrengen muss, wenn er einen neuen Weltrekord über 100 Meter aufstellt. Alle haben gesehen, dass er sogar einen Jahrhundertweltrekord knacken kann, wenn er nur will. Viele glauben an die Redlichkeit seiner Erfolge. Manche nicht.
2. Britta Steffen ist schier Unglaubliches gelungen in Peking. Sie hat zwei Goldmedaillen für Deutschland gewonnen. Im Schwimmen! Damit verhalf sie dem Berliner Bezirk Neukölln, der einzigen echten No-go-Area der Republik, zu positiven Schlagzeilen. Ihr Verein ist die SG Neukölln. Die betreibt im Bezirksteil Britz ein Sportbad. Das heißt jetzt Sportbad Britta.
3. Michael Phelps schwimmt und gewinnt. Normalerweise schwimmt er auch Weltrekord, wenn er ins Becken hüpft. Er hat in Peking acht Goldmedaillen gewonnen. So etwas hat noch niemand geschafft. Phelps’ Erfolgsgeheimnis: „Ich mache nichts als essen, schwimmen und schlafen.“ Wenn das so einfach ist, dürfte er seine Rekorde bald wieder los sein.
4. Liu Xiang ist der Star, der kneift. Der Hürdensprinter ließ seine Landsleute hängen. Er habe Probleme mit der Achillessehne, ließ er wissen – und stürzte die Sportnation China in Depression. Der Olympiasieger von Athen war versichert für den Fall des Ausfalls. Es wird nun geprüft, ob er anspruchsberechtigt ist. Die Millionen hat Liu aber gar nicht nötig. Er ist in China eine Werbe-Ikone, immer noch.
Die besten Herz-Schmerz-Geschichten der Spiele
1. Matthias Steiner weinte, und er küsste das Foto seiner verstorbenen Ehefrau. Immer wieder. „Wahnsinn, dieses Gold widme ich Susann“, sagte der stärkste Mann der Welt. Die war vor einem Jahr bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ihr zuliebe wurde der Österreicher sogar Deutscher.
2. Maarten van der Weijden wäre beinahe gestorben an Leukämie. Der Niederländer überwand den Blutkrebs, wurde Olympiasieger im Langstreckenschwimmen. Nach dem Sieg sagte er: „Ich danke allen, die sich in schweren Zeiten um mich gekümmert haben. Ohne sie wäre ich jetzt wohl nicht mehr hier.“
3. Sanya Richards war gelähmt, konnte kaum sprechen. Die US-400-Meter-Läuferin war an dem Autoimmundefekt Morbus Behçet erkrankt. Seit der Heilung darf sie viele bunte Pillen schlucken. Doch trotz legaler Medikation ließ sie ihr geschwächter Körper, als sie in Führung lag, im Stich. Richards: „Ich habe so hart gearbeitet. Das war alles umsonst.“
4. Thomas Lurz erschwimmt Bronze über 10 km, auf dem Oberarm hat er das Geburtsdatum seines verstorbenen Vaters tätowiert. Der schickt zum Dank Regen, Sohnemanns Lieblingswetter. Lurz weint: „Ich hätte ihm gerne Gold geschenkt.“
Die dümmsten Doper der Spiele
1. Cöster ist nicht besonders schlau. Trotzdem hat er es hinbekommen, sich mit dem verbotenen Wirkstoff Capsaicin zu dopen. Cöster ist erst 15 Jahre alt. Ein Wallach. Auf ihm reitet der Deutsche Christian Ahlmann. Weil der viel schlauer ist als Cöster, muss er jetzt für das Dopingvergehen des Pferdes haften. Ahlmann wurde aus dem olympischen Dorf gewiesen, und die Unterbringungskosten für Cöster in Hongkong muss der Halter jetzt wohl auch noch bezahlen.
2. Ludmilla Blonska, Ukrainerin, Zweite im Siebenkampf, lässt sich mit Methyltestosteron im Blut erwischen. Anabolika sind relativ leicht nachzuweisen. Blonska war das offenbar egal. Ihr Ruf war ohnehin schon ruiniert. 2003 war sie bereits positiv getestet und zwei Jahre kaltgestellt worden. Blonska wird von den Bildschirmen verschwinden. Sie wird jetzt voraussichtlich lebenslang gesperrt. Vielleicht hat sie es ja so gewollt.
3. Maria Isabel Moreno wollte nicht anders sein als andere in ihrem Sport. Sie hat genommen, was immer schon gern genommen wurde in der Szene: Epo. Sie wurde noch vor ihrem Rennen erwischt. Die Chinesische Mauer, an der die Radrennstrecke lag, hat sie nicht gesehen.
4. Die bulgarischen Gewichtheber waren erst gar nicht in Peking. So gut wie alle Spitzenheber des Landes haben gedopt, und das auch noch gleichzeitig. Elf Heber flog auf. Das war selbst dem medaillengeilen Olympischen Komitee Bulgariens zu peinlich. Es beschloss, keine Kraftsportler zu entsenden.
Die schönsten Erlebnisse der Spiele
1. Das Ganbei-Erlebnis: Wir sitzen im Restaurant, uns gegenüber eine junge Chinesin. Plötzlich bestellt sie ein Bier, füllt ihr Glas und stößt mit uns an. „Ganbei“, sagt sie. Das Bier stürzt sie mit einem Zug hinunter, was logisch ist, denn „Ganbei“ heißt „Glas leer“. Wir nippen aus Unkenntnis nur an unseren Gläsern. Die Chinesin ist empört. Sie verlässt augenblicklich das Lokal. Wir haben sie nie wieder gesehen.
2. Die Help-Desk-Episode: Hier, wo es Hilfe für uns desorientierte Europäer gibt, stehen sie in ihren blau-weißen Shirts und tun ihr Bestes. Dumme Fragen stellen wir: Wo es zu den Bussen geht und wie man an einen Interviewpartner vom Bocog, dem Organisationskomitee, rankommt. Dann steht sie da, die Volontärin. Sie sagt: „Sie haben sehr schöne Haare!“
3. Das Bauch-frei-Gefühl: Wir spielen Basketball. Zwei nicht mehr ganz junge Europäer unter ganz viel jungen Chinesen. Wir geben unser Bestes. Doch mithalten können wir nur, wenn wir unsere schweren Körper gegen die schmalen Chinesen stemmen. Die nicken uns anerkennend zu. Nach dem Spiel machen wir unsere Oberkörper frei. Die Chinesen bewundern unsere Bäuche. So etwas haben sie noch nie gesehen. Wir sind sehr stolz.
4. Das Füttervorkommnis: Als aufgeklärte Europäer haben wir keine Probleme, mit Stäbchen zu essen. Glauben wir. Die Chinesen scheinen uns für weniger geschickt zu halten. In einem Feuertopfrestaurant passiert es dann. Die Bedienung nimmt dem patzigen Europäer die Stäbchen aus der Hand und füttert ihn.