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Archiv-Artikel

Zehn Jahre Politik und schon Chef

Mecklenburg-Vorpommerns SPD wird am Sonntag Erwin Sellering als neuen Regierungschef nominieren. Erst 1998 übernahm er seinen ersten Politjob

SCHWERIN taz ■ Am Sonntag will die SPD in Mecklenburg-Vorpommern auf ihrem Landesparteitag in Güstrow Erwin Sellering als neuen Ministerpräsidenten nominieren. Damit tritt er die Nachfolge seines Parteifreundes Harald Ringstorff an, der nach zehn Regierungsjahren am 3. Oktober sein Amt aufgeben will. Drei Tage später ist mit den Stimmen des Koalitionspartners die Wahl des 58 Jahre alte Sellering zum neuen Regierungschef des Schweriner Landtags vorgesehen.

Sellering, der aus dem westfälischen Kleinstädtchen Spockhövel stammt und seit April 2007 SPD-Landesvorsitzender ist, wird keinen einfachen Job haben: Seine Partei ist wegen des Neubaus eines Kohlekraftwerks in Lubmin bei Greifswald zerstritten, die Mitgliederzahlen liegen bei desaströsen 2.800 Genossen und die oppositionelle Linkspartei fordert lautstark ein stärkeres soziales Engagement. Ein weiteres Problem seien die Hinterlassenschaften Ringstorffs, findet Parteienforscher Eckhard Jesse von der TU Chemnitz. „Er war amtsmüde, konnte keine Aufbruchstimmung mehr vermitteln und hinterlässt eine politische Stagnation.“

Das aber kann Mecklenburg-Vorpommern nicht gebrauchen. Denn die Abwanderung junger Menschen hält unverändert an, in den Arbeitslosenstatistiken liegt das am dünnsten besiedelte Bundesland weiterhin mit an der Spitze, und in Vorpommern steigt die Zahl der NPD-Sympathisanten. Wie der designierte Ministerpräsident dagegen angehen will, möchte er auf Anfrage noch nicht preisgeben. Man wolle erst den Parteitag abwarten, teilt sein Pressesprecher mit.

Skeptisch bewertet der Politologe Jesse schon jetzt Sellerings politisches Charisma: Da er stromlinienförmig sei, müsse er sich wohl stärker über Sachthemen profilieren. Da gibt es nicht viel Spielraum, wie der Fraktionsvorsitzende der CDU, Armin Jäger, gleich mal klarstellt: „Am Koalitionsvertrag ist nicht zu rütteln. Schließlich hat er ihn von der ersten bis zur letzten Zeile mitverhandelt.“ Als Koalitionspartner der SPD liege der CDU aber viel daran, gemeinsam die Finanzen weiter zu konsolidieren, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und eine kinder- und familienfreundliche Politik zu gestalten.

Drei Jahre hat der Westimport Sellering jetzt bis zur nächsten Landtagswahl Zeit. Dann muss er sich an den Zielen des Koalitionsvertrages messen lassen. Und daran, ob er ein echter Landesvater geworden ist. Denn sowohl die Linken als auch die CDU haben schon jetzt hinter vorgehaltener Hand verkündet, 2011 mit einem Kandidaten „von uns“ ins Rennen um den Posten des Ministerpräsidenten zu gehen. „Sellering wird erst mal beweisen müssen, ob er überhaupt mit der Bevölkerung kommunizieren kann“, sagt der Potsdamer Politikwissenschaftler Jürgen Dittberner. „Er ist ja niemand zum Anfassen.“ Das sei in Mecklenburg-Vorpommern wichtiger als die Herkunft. Harald Ringstorff sei auch stur gewesen und habe viele Entscheidungen allein getroffen. Aber durch seine bedächtige Art habe er die Menschen auf seine Seite ziehen können.

Die politische Karriere des Juristen und Krimifans Sellering liest sich rasant. Vor 14 Jahren zog er von Spockhövel nach Greifswald und wurde zeitgleich SPD-Mitglied. Arbeitete in dem Ostseestädtchen als Richter am Verwaltungsgericht, wurde 1998 von Ringstorff als Abteilungsleiter in die Staatskanzlei nach Schwerin gerufen, leitete von 2000 bis 2006 das Justizministerium und war zuletzt Minister für Soziales und Gesundheit. Solch ein schneller Aufstieg müsse nichts Schlechtes bedeuten, sagt Dittberner. „Da bleibt einfach mehr Energie übrig. Und die hat auch die SPD dringend nötig.“ CARL ZIEGNER