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Archiv-Artikel

Herr Steinmeier sucht das Volk

Außenminister Frank-Walter Steinmeier tourt durch seinen Wahlkreis im westlichen Brandenburg. Er will den Menschen so gerne nahe sein, doch sie zeigen sich nicht oder warten einfach nur auf den Bus. Rettung bringt schließlich ein Eisverkäufer

AUS BRANDENBURG STEFAN REINECKE

Frank-Walter Steinmeier wird 2009, zum ersten Mal in seiner Karriere, selbst Wahlkampf machen. Dort, in dem Wahlkreis im westlichen Brandenburg, will er zeigen, dass er nicht nur mit US-Außenministerin Condoleezza Rice, sondern auch mit Bauern und SPD-Unterbezirksvorsitzenden zu reden versteht.

„Ich habe nicht zum ersten Mal in Brandenburg übernachtet“, sagt Steinmeier. „Ich bin hier angekommen.“ So richtig überzeugt klingt er nicht. Der Außenminister steht auf dem Hof eines Biobauern im Hohen Fläming, knapp 100 Kilometer südwestlich von Berlin. Das Gut Schmerwitz ist einer der größten Produzenten von Bioprodukten in Deutschland. Neben dem Minister steht Rita Neumann, eine quirlige Fünfzigjährige, die schon seit 1970 hier arbeitet und heute den Betrieb managt. Sie begrüßt nervös „Herrn von Steinmeier“, wohl weil wichtige Westler in Brandenburg oft „von“ heißen. Sie erzählt beseelt von damals, von Aktivistenhäusern und dem Einfluss der SED. Steinmeier schaut sie freundlich-distanziert an und fragt, was nach 1990 passierte.

Als Rita Neumann unverdrossen weiter über Aktivistenhäuser redet, will der Außenminister jetzt doch lieber etwas essen. Aber zuvor muss er erst mal, umringt von TV-Kameras, den „feigen Anschlag“ auf einen Bundeswehrsoldaten in Kundus verurteilen. Und zur Besonnenheit im Verhältnis zu Russland mahnen. Und mit Außenministern telefonieren.

In Brandenburg an der Havel besichtigt Steinmeier ein Unternehmen, das Satellitendaten auswertet und diese Analysen überall auf der Welt verkauft. Ein Vorzeigeunternehmen, das in einer renovierten Brauerei residiert. Der Betrieb hat 90 Angestellte, allerdings kaum welche aus Brandenburg. „RapidEye“ ist, so eine Mitarbeiterin etwas verschämt, nur wegen der üppigen Subventionen an die Havelstadt gezogen. Das schnieke Unternehmen wirkt in der etwas unwirtlichen Stadt Brandenburg selbst wie ein Raumschiff. „Brandenburg goes global“, lobt Steinmeier unverdrossen. In Jüterbog besichtigt er später eine Skaterbahn, die ein Touristenmagnet ist. Alles Vorzeigeprojekte, so wie auch der Biobauernhof.

Die Arbeitslosigkeit im Wahlkreis liegt über 15 Prozent, die Abwanderung ist dramatisch. Aber darum geht es bei dieser Sommerreise nicht. Die SPD will einen Politiker inszenieren, der nah bei den Wählern ist. Steinmeier absolviert diese Tour unfallfrei. Er hört geduldig zu, auch wenn der Landrat äußerst detailliert die Beschaffenheit der Skaterstrecke erläutert. Vor fünf Minuten hat er im Auto noch die Georgienkrise zu beruhigen versucht, jetzt applaudiert er einer Dreijährigen auf Skatern. Steinmeier wirkt aufmerksam. Keine Spur von Herablassung.

Wo aber ist eigentlich das Wahlvolk auf dieser Sommerreise, mit dem es doch Kontakt aufzunehmen gilt? Vielleicht in Belzig, einer Kleinstadt mit hübsch renovierter mittelalterlicher Altstadt. Dort schiebt sich mit Steinmeier eine Traube aus Bodyguards und Bürgermeistern, drängelnden Fotografen und nörgelnden Journalisten durch die Gassen. Nur das Volk ist irgendwie abwesend. Dort hinten sitzt immerhin eine Frau auf einer Bank. „Warten Sie auf Steinmeier?“, fragt eine Journalistin. „Nein, auf den Bus“, sagt die Belzigerin. Steinmeier ist niemand, der ahnungslosen Passanten einfach so die Hand schüttelt. Alles Aufdringliche ist ihm fremd. Zum Foto mit zwei Kindern auf dem Biohof muss er von seinen Mitarbeitern ermuntert werden.

In Belzig naht dann doch Rettung. Ein grauhaariger Eisladenbesitzer ruft: „Kommen Sie doch herein.“ Steinmeier eilt, umringt von Fotografen, in den Laden und isst ein Eis. Das ist heute der Höhepunkt in Sachen Wählerkontakt.

Danach besucht Steinmeier die Burg Eisenhardt, ein mächtiges Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert. Dort steuert er zielstrebig das Restaurant an. Ein ältere Dame ruft ihm zu: „Wir setzen auf Sie.“ Der Außenminister erwidert knapp: „Zu Recht. Zu Recht“, und entschwindet. Die Dame ist Rentnerin aus Berlin und Sympathisantin der SPD. Kurt Beck oder Gerhard Schröder hätten sich ein Gespräch mit ihr kaum entgehen lassen. Steinmeier schon.